http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1903/0409
Solling: Zur Geschiebte des Professorenthums. 475
entkam, ohne dass der Käfig die geringste Verletzung
zeigte.*)
Ein Beispiel plumpesten Vorurtheiles gab auch Justizrath
Sello in seinem in der „Zukunft" (vom 18. April 4903)
veröffentlichten Artikel „Der Prozess Rothe". Dieser Herr
ist zwar kein Professor, spricht aber wie ein solcher; er
sagt u.a.: „Beweiserhebungen sind doch nur statthaft über
Dinge, die selbst möglich sind; Behauptungen aber, die den
Gesetzen der Erfahrungswelt, in der wir leben, grundsätzlich
Hohn sprechen, darf man auch nicht der Ehre einer
gerichtlichen Beweisaufnahme würdigen"; und ferner:
„Dutzende von Zeugen jeden Alters, Geschlechtes und
Bildungsgrades, gegen deren lautere Wahrheitsliebe nicht
der Schatten eines Verdachtes besteht, kurz, eine ganze
Schaar von durchaus klassischen Zeugen im landläufigen
Sinn behauptet und beschwört, Dinge gesehen und gehört
zu haben, die nicht geschehen sind, die unmöglich jemals
geschehen können." Ergo sind, wie Sello weiter schliesst,
die Zeugenaussagen falsch und der Werth des
Zeugeneides hinfällig! Diese saubere Voraussetzungs-
losigkeit erinnert lebhaft an jenen Tropenfürsten, der einen
holländischen Gesandten für verrückt erklärte, weil dieser
behauptet hatte, dass das Wasser bei genügend niedriger
Temperatur in den festen Zustand übergehe. Erwägt man,
dass in der Welt im Grunde genommen Alles wunderbar,
geheimnisvoll und unerklärlich ist, und dass wir bei unserem
beschränkten Erkenntnissvermögen und unserer relativ geringen
Erfahrung sicherlich nur einen ganz kleinen Teil des
Weltwesens kennen, dann muss es als ein Höhepunkt lächerlichster
Anmassung bezeichnet werden, wenn Jemand —
sei er nun ein Negerhäuptling oder ein Berliner Professor —
auf Grund seiner Erfahrung die Möglichkeit einer an
sich möglichen Erscheinung hartnäckig bestreiten will. Da
die Wahrheit nicht oft genug gesagt werden kann, bringe
ich von Neuem das Wort Aragos in Erinnerung, dass derjenige
, welcher mit Ausnahme der rein mathematischen
Wissenschaften das Wort „unmöglich*4 ausspricht, aller Vorsicht
und Klugheit ermangelt. Im Anschluss hieran sei
*) .Psych. Stud.« 1901, S. 449, 513 und 577. — Zur Vermeidung
eines Missverständnisses bemerke ich, dass ich nicht etwa die Betrügereien
der Rothe bezweifle. Aber freilich bin ich überzeugt,
dass in den Sitzungen der Rothe auch echte Phänomene vorkamen;
denn die Logik, dass ein Medium, wenn es ein oder mehrere Male
betrogen hat, immer betrogen haben müsse, und dass es folglich
überhaupt gar keine Medien gebe, ist mir zu professorenhaft, um
nicht zu sagen: zu kindisch.
31*
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1903/0409