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Seiimg: Zur Geschichte des Professorenthums. 477
Heinrich v. Stein Mitte der achtziger Jahre an der Berliner
Universität Vorlesungen über den grössten deutschen
Künstler angezeigt hatte, wurde ihm von oben bedeutet,
dass, wenn er dieses Vorhaben ausführe, es mit seiner
Laufbahn zu Ende sein würde. Ferner hat der berühmte
% Kunsthistoriker Lübke den Muth zur Aeusserung gefunden,
dass ein einziges Lied von Gumbert mehr Erfindung aufweise
als die ganze Partitur der „Meistersinger". Jeder Kenner
der Sache wird mir zugeben, dass mit Bezug auf diesen
Satz Schopenhauer sich milde ausgedrückt hat, wenn er „das
Urtheil des zünftigen Packs für nichts achtet". Dem hemmenden
Einfluss der Professoren ist es zum guten Theil auch
zuzuschreiben, dass noch vor wenigen Jahren die Rundfrage
erlassen werden konnte, ob R. Wagner ein deutscher
Dichter zu nennen sei, — und dass W. Tappert ein ganzes
„Wörterbuch der Unhöflichkeit, enthaltend grobe, höhnende,
gehässige und verläumderische Ausdrücke, welche gegen R.
Wagner gebraucht worden sind/1 veröffentlichte.
Ein gravirendes Beispiel der geheimen Hemmung und
Wühlerei gegen das Neue und Grosse kann ich aus
meiner eigenen Erfahrung berichten. Als in der wissenschaftlichen
Beilage einer grossen Zeitung ein Aufsatz von
mir über die Bodenbesitzreform erschienen war, machte ein
Professor der Nationalökonomie dem Redakteur Vorwürfe
darüber, dass er derartigen unwissenschaftlichen Bestrebungen
Vorschub leiste. Hierzu, wie eben auch im Allgemeinen
und besonders mit Beziehung auf den Okkultismus, passt
das vortreffliche Wort Strindberg's: „Je unnützer eine gelehrte
Abhandlung ist, desto grösseres Ansehen geniesst
sie; und wittert man in einer Arbeit nur die leiseste Absicht
, der Menschheit damit zu dienen, so wird sie als unwissenschaftlich
abgelehnt." Ob die Bodenbesitzreform unwissenschaftlich
ist, mag der Leser, falls er sie nicht kennen
sollte, nach folgendem Umstände beurtheilen. Die ständigen
Anfeindungen, welchen diese grundlegende Sozialreform
immer noch ausgesetzt ist, haben einen opferwilligen Vor-
kämpter, Herrn C. Marfeis, veranlasst, einen Preis von
3000 Mk. für den auszusetzen, der in dem von A. Damaschke
verfassten Handbuch „Die Bodenreform" einen wesentlichen
nationalökonomischen Lrrthum nachweist. Um der Gerechtigkeit
willen darf ich übrigens nicht verschweigen, dass
sich unter den Mitgliedern des „Bundes der deutschen
Bodenreformer" einige Professoren der Nationalökonomie
befinden. Ausnahmen bestätigen eben die Regel. —
(Bchluss folgt.)
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