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„ * * Wanderbare Errettung aus Gefahren.
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mit ich weiss, ob sie im Recht ist oder ich, ob ich sie
zwingen kann, die Sachen ohne schriftliche Abmachung anzunehmen
!" — Ganz instinktiv, wie das erste Mal, tastete
meine Hand nach dem den Flammen entgangenen Druckblatt
, ich glättete es absichtslos, — vor mir lagen die Bestimmungen
des neuen bürgerlichen Gesetzbuches über „Kaufund
Schenkvertrag." Die Bestimmungen besagen, dass jeder
Kauf bis zu einer gewissen Höhe keiner schriftlichen,
sondern nur einer mündlichen Abmachung bedarf, auf Treu
und Glauben. Was ich jetzt empfand, lässt sich schwer
schildern. Eine wunderbare Kraft fühlte ich in mir, ein
Lobpreisen Gottes und seiner Macht erfüllte mich! Pünktlich
gegen 7 Uhr Abends traf die Erwartete bei mir ein;
ich hörte stumm ihre erneuten Auseinandersetzungen an,
darnach zog ich meinen Talisman aus der Tasche, las der
Dame den betreffenden Gesetzesparagraphen vor und fragte,
ob sie gesonnen sei, die Sachen morgen zu dem vereinbarten
Preise abholen zu lassen. Erschreckt trat sie an
den Tisch heran, las selbst, das von mir festgehaltene Blatt
und sagte dann, wiederum lächelnd: „Ich bin nicht so erfahren
im Gesetz, ich wusste das nicht; natürlich werde
ich morgen unter den abgemachten Bedingungen die Sachen
holen lassen!" Ich konnte nur noch hinzufügen: „Unter
Damen sollte, meines Erachtens, so etwas nicht vorkommen!"
Das Blatt ist selbtverständlich noch in meinem Besitz
und wird von mir als beredtes Zeichen göttlicher Hülfe
aufbewahrt. Wie es in meine Wohnung kam, ob etwas
darin eingewickelt war, weiss ich nicht; ich weiss nur, dass
ich — da ich allein wohnte — zu Niemandem von der
unliebsamen Zwiesprache mit der Käuferin geredet hatte.
„Rufe mich an in der Noth, so will ich Dich erretten
und du sollst mich preisen!"
* *
Vor wenigen Jahren machte ich mit befreundeten
Familien, zu welchen zwei Mädchen von 12 und 13 Jahren
gehörten, einen Spaziergang im Harz der Bode entlang.
Wer den Weg im Bodethal, z. B. zwischen Treseburg und
Thale, kennt, der weiss, wie oft dieser Weg durch vorspringende
Felsen verengt und damit unregelmässig gemacht
wird, was die Fernsicht beschränkt. Die beiden Kinder
benützten [diese Felsvorsprünge zum Versteckenspiel; eins
der Kinder lief voraus, stellte sich in eine Felsnische und
erwartete so seine Gefährtin, die entweder im Eifer blind
an dem Versteck vorübereilte oder beim Entdecken der Versteckten
in helles Jauchzen ausbrach, welches, gestärkt durch
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