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524 Psychische Studien. XXX. Jahrg. 9. Heft. (September 1903.)
Errichtung seines ersten Phalanstöre geben sollte. Dieses
blinde Vertrauen in die Ausführbarkeit seiner Pläne und in
seine Lehre: dass mit der 8. Entwieklungsperiode die allgemeine
Harmonie, die Aurora des Glücks, beginne,
welche die ganze Schöpfung umgestalten würde; dass dann
überall das gemässigte Klima herrschen, Chemiker aus
Basaltfelsen Pasteten backen, es Limonadenmeere, abgerichtete
Walfische, Anti-Löwen u. s. f. geben würde — mit
einem Worte: dass (mit der 8. Periode) eine kosmische
Wiedergeburt stattfände, hat Fourier den so billigen
Spottnamen eines Schwärmers und Narren eingetragen.
Abgesehen aber von der praktischen Ausbeute, welche der
theoretische Sozialismus aus seinen (sonst sehr nüchternen)
Schriften ziehen kann (Arbeitsversicherung, garantirtes
Existenzminimum), ist doch daran zu erinnern, dass Fourier
durch seine Kritik der bestehenden gesellschaftlichen Zustände
zu den grössten Satirikern aller Zeiten zu
rechnen ist, und dass nicht sowohl durch kluge Verstandesmenschen
, als durch „Schwarmgeister" viel des Herrlichen
auf Erden schon geahnt und thatsächlich vollbracht worden
ist. Und Beranger sang dem grossen Todten sein wLes fous4*
ins Grab nach, dessen letzte Strophe also lautet:
Qui d^couvrit un nouveau monde?
Un fou qu'on raillait en tout Heu;
Sous la croix que son sang inonde,
Un fou qui meurt nous legue un Dieu.
Si demain, oubliant d^clore,
Le jour manquait, eh bien! Demain
Quelque fou trouverait encore
Un flambeau pour le genre humam.
Ehe wir uns der französischen Historiographie jener
Epoche zuwenden, haben wir noch einen Dichter zu betrachten
, welchen man den Schöpfer des realistischen Romans,
ja des Romans in seiner modernen J^orm überhaupt, wie er
heute die Weltlitteratur beherrscht, nennen muss: Honore
de Balzac (1799—1850). Flaubert, Daudet, die Goncourts, Maupassant
und endlich Emil Zola — sie Alle stehen auf seinen
Schultern und Turgenjew hat er ebenfalls beeinflusst. Balzac
ist Wirklichkeit8schilderer, aber er sucht nicht nur nach
„doeuments humains% er arbeitet nicht nach einer pseudo*
wissenschaftlichen Methode einen „experimentellen Roman"
aus, sondern er lebt seine Gestalten, schildert deren Innenleben
; seine Figuren sind keine Allegorien, die des Dichters
Ansienten tendenziös vortragen, sondern Vollmenschen; er
ist nicht naturalistischer Photograph, sondern realistischer
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