http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1903/0464
530 Psychische Studien, XXX. Jahrg. 9. Heft. (September 1903.)
noch so schwierig zu erlangen sein, sein Ansehen leidet
darunter, dass besonders der mit ihm am nächsten verwandte
, philosophisch-naturwissenschaftliche Doktor von
allen Einsichtigen nach Verdienst gewürdigt wird. So hat
Bernhard Förster % der Schwager Nietzsche*'s, einmal verächtlich
geschrieben: „Man beobachte das Vorhandensein der philosophischen
Fakultät und frage sich, ob eite gelehrte Körperschaft
, welche allen scheinbaren Ernstes einem zweiund-
zwanzigjährigen Jungen, dem es durch allerhand Experimente
gelang, ein thierisches Ausscheidungsprodukt in einer
bis dahin unbekannten Weise herzustellen, zum „Lehrer der
Philosophie" und „Meister der freien Künste" ernennt, ob
eine solche Körperschaft den Anspruch erheben darf, ernst
genommen zu werden." Noch treffender wird die Sache
durch einen köstlichen, seinerzeit von den „Grenzboten"
berichteten Vorfall charakterisirt. Einer mit dem Wertbe
des Universitätstreibens wohl vertrauten Persönlichkeit stellte
sich ein neugebackener Dr. phil. sehr selbstbewusst als
solcher vor, worauf der Angeredete, scheinbar ganz verwundert
, mit der Frage erwiderte: „Ja kann man denn
überhaupt weniger sein?" —
Nach dem früher erwähnten Ausspruche des Prof.
W. v. Christ, hat es den Anschein, als ob es bei Beförderungen
und Berufungen lediglich auf „gründliche
Gelehrsamkeit" ankommt. Wie wenig dies im
Allgemeinen der Fall sein dürfte, hat Prof. Kehr im
„Lotsen" (vom 14. Dez. 1901) verrathen. Nachdem er den
Nepotismus gestreift, stellt er die ebenso ehrlichen wie
schlagenden Fragen: „Haben wir nicht in der Wissenschaft
herrschende Richtungen, welche die entgegengesetzte Sichtung
bei Berufungen grundsätzlich ausschliessen ? Sind wir
nicht alle Menschen von persönlichen Neigungen und Abneigungen
oft uneiträglich einseitiger Art? Lieben wir und
befördern wir vielleicht unsere litterarischen Gegner, unsere
Kritiker, unsere Konkurrenten?" Auch Prof v. Winc/clerh&tm
einer Ansprache gelegentlich der Immatrikulation (Nov. 1902)
an der Münchner Universität mit Bezug auf die Ernennung
der Professoren gesagt, es sei leider nicht zu leugnen, dass
auch hier Protektion, Cliquenwesen und dergl. sich geltend
machen; dies sei eben menschlich und überall so. Wenn
Professoren im Gegensatz zu der sonst üblichen Sclbstbe-
räucherung öffentlich so sprechen, dann kann man ruhig
annehmen, dass es sich fast nur um Cliquenwirthschaft
handelt, wie mir dies von einem Münchener Universitätsprofessor
denn auch bestätigt wurde. Als ich ihm geklagt
batte, dass das Lehrerkollegium des Polytechnikums zu
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1903/0464