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Maier: Dr. A. Moll über das Medium Ensapia Palladino. 553
Im Anschlüsse an Dessoir's und meinen Vortrag sagte
mir ein intelligenter Berliner Arbeiter: Wenn Sie dem
dümmsten Bauern mit solchen Sachen kommen würden, die
nur in der Dunkelheit geschehen oder verdeckt von einer
Portiere, so wird er nicht an Geister glauben, sondern er
wird zunächst sagen: „Nehmt mal erst ein bischen die
Portiere weg oder macht ein bischen Licht, wenn ich
glauben soll, dass dieses kein Schwindel ist"
Es ist ja gar nichts dagegen zu sagen, wenn Jemand
an Geister oder an eine besondere psychische Kra^t glauben
will das ist Glaubenssache, wie ein Dogma. Nur soll man
hier nicht das Wort Wissenschaft brauchen, man soll nicht
Dinge für wissenschaftlich bewiesen hinstellen, so
lange man nicht unter zwingenden Bedingungen beobachtet.
Man kann sich kaum vorstellen, zu welcher psychischen
Epidemie der Palladino * Schwindel bereits heute in Italien
geführt hat. Nicht nur ein grosser Theil des italienischen
Adels gehört zu den Gläubigen, sondern auch eine Reihe
erster Gelehrter. Durch eine Aufdeckung des Schwindels
würden heute bereits so zahlreiche Angehörige der Geistesund
Geburtsaristokratie Italiens kompromittirt werden,
dass dieser Umstand einer Aufklärung gerade nicht günstig
ist; nicht etwa, weil die Gelehrten wider besseres Wissen
einen begangenen Irrthum aufrecht erhalten würden, sondern
weil sich das Unbewusste sträubt eine vorgefasste und zum
Theil bereits veröffentlichte Meinung zu ändern. Obwohl
ich mich seit etwa siebzehn Jahren mit dem Spiritismus
beschäftigt habe und dabei immer mehr zu der lieber-
zeugung gekommen bin, dass es sich bei den Vorführungen
der Medien im Wesentlichen um absichtliche Betrügereien
handelt, war ich doch etwas stutzig geworden, als man mir
von den Wundern erzählte, die sich bei der Palladino begäben
und mau mir die grossen Gelehrten nannte, die zu
den gläubigen Anhängern dieser Frau gehören. Als ich
aber meine Sitzung mit ihr unter verhältnissmässig günstigen
Bedingungen hielt, da blieb für mich als Wunder nur Eines
übrig, nämlich der Umstand, dass grosse Gelehrte solch
frechen durchsichtigen Schwindel auf eine unbekannte
Kraft zurückführen!4*--
Soweit der auf seinem speziellen Gebiet gewiss bedeutende
und beachtenswerthe Gelehrte, der gleich seinem
Freunde und Kollegen Prof. Dessoir neuerdings auch in der
„Woche" sein Berliner Nordlicht über Fragen leuchten lässt,
die u. E.? eben, weil sie nach dem Urtheil der sachkundigsten
und erprobtesten Experimentatoren noch nicht spruchreif
sind, auch nicht dem grossen, mehr oder weniger des
PsycHsche Studien September 1903. 36
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