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554 Psychische Studien. XXX. Jahrg. 9. Heft. (September 1903.)
selbständigen Urtheils entbehrenden und sieh dann auf
solche w Autoritäten** stützenden Losepublikum in der Tagespresse
mundgerecht gemacht werden sollten. Denn wenn
wir auch — wie jeder ehrliehe und gewissenhafte Forscher
— mit Herrn Dr. Moll darin vollkommen übereinstimmen,
dass man nicht Dinge für wissenschaftlich bewiesen
hinstellen soll, solange man nicht unter zwingenden Bedingungen
beobachtet hat, und wem. wir speziell hinsichtlich
der Geisterhypothese schon oft genug betonten, dass
sie — trotz aller, zum Theil sehr gründlicher Vorarbeiten
in diesem Sinne — noch lange nicht als bewiesen gelten
kann, so halten wir es andererseits doch für ebenso verkehrt
und unzulässsig, das nach Wissen und Bildung dürstende
Volk und vor allem die noch grösstentheils auf das Evangelium
von „Kraft und Stoff4* schwörenden Arbeitermassen
in dem durch den Sinnenschein so nahegelegten Glauben
zu bestärken, dass das Gegentheil, nämlich dass es kein
Fernwirken und keine Fortdauer der in uns denkenden
und wollenden psychischen Kraft gäbe, zu bestärken, indem
dies, wie auch, die Herren Moll und Dessotr zugeben werden,
mindestens ebensowenig bewiesen ist. Handelt es sich doch
bei diesen „letzten Fragen", wenigstens vorerst, lediglich um
Wahrscheinlichkeitsberechnungen, und wer die Ergebnisse
der psychologischen Forschung der letzten Jahrzehnte
genau und mit logischem Verstiindniss verfolgt hat
— wir erinnern nur an die von uns an anderer Stelle (am
Schluss unseres Berichtes über das neu aufgetauchte Medium
Peters) als mustergiltig bezeichneten Untersuchungen der
S. P. R. über Mrs. Piper—, der wird nicht leugnen können,
dass nach dem jetzigen Stand unseres Wissens die grössere
Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein jener auch nach
dem leiblichen Tode noch fortwirkenden „psychischenu Kraft
spricht. Nach nur 5 Sitzungen, wie Prof. Dessotr, oder gar
nur nach einer, wie Dr. Moll, sich gegenüber den mühsamen
, viele Jahre hindurch fortgesetzten Studien und eingehenden
Beobachtungen anderer, wissenschaftlich jedenfalls
noch bedeutenderer Gelehrten sich, wie im Fall Eusapia,
ein kategorisch absprechendes Urtheil zu gestatten und
diesem vollends durch Publizierung in der Tagespresse die
denkbar weiteste Verbreitung zu geben, halten wir für anlassend
und uubesonnen, ja (aus dem oben angedeuteten
Grund der voraussichtlichen Wirkung auf die unverständigen
Massen) für fast unverantwortlich. Wenn Herr Prof, Dessoir
von seiner Einladung zu einigen Eusapia-Sitzungen in
München solchen Gebrauch — um nicht zu sagen: Miss-
brauch — machte, so erblicken wir hierin durchaus kein
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