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558 Psychische Studien. XXX. Jahrg. 9. Heft. (September 1903.)
sein, sondern das nothwendige Glied eines gesetzlich-orga-
nisirten Ganzen, welches sowohl in der Gesammtheit, als
in seinen einzelnen Strömungen eine Vergangenheit und
eine Zukunft habe. Das Postulat der persönlichen Fortdauer
ist im Grunde dasselbe, nur in's Einzelne gehende
Streben, welches den reifenden Menschen überhaupt kennzeichnet
und welches sich sowohl in der Wissenschaft, als
in gesellschaftlichen Einrichtungen und in der Sorge für die
persönliche Zukunft als ein Suchen nach Ordnung, Zusammenhang
, Klarheit und Sicherheit kundgiebt. Daher
wäre dem Verlangen nach persönlicher Fortdauer schon
Rechnung getragen, wenn das Einzelwesen sich und seine
Angehörigen, trotz mannigfacher veränderter Gestalt, in der
Erinnerung, oder wenigstens mit Hilfe äusserer Erkennungszeichen
, als dieselben wissen könnte, welche einst die und
die waren, dort und dort lebten u. s. w. Man muss doch
wohl annehmen, dass selbst ein Dühring, der sich bemüht,
den Werth desselben Lebens an der Gewissheit einer endgültigen
Vernichtung zu messen (!), nichtsdestoweniger
seiner eigenen Lebensthätigkeit eine gewisse Unsterblichkeit
wünscht, d. h. er würde es vorziehen, anstatt einer vollkommenen
Vergessenheit anheimzufallen, dass sein Name, seine
Schriften, seine Gesichtszüge, seine Lebensgeschichte u. s. f.
für die Nachwelt nicht ganz verloren gingen. Dasselbe
wünschen nun auch Diejenigen, welche das Unsterblichkeitspostulat
aufstellen, nur mit dem Zusatz, dass sie sich nicht
mit todten Abdrücken begnügen, sondern den lebendigen
Zusammenhang dieser mit gewissen künftigen Wesen an-
streben.
Gelegentlich der Frage von der Zukunft unseres ganzen
Geschlechts und überhaupt alles Lebendigen, geräth Dühring
abermals in Widerspruch mit seiner eigenen Behauptung.
Er sagt: „Auch ein eigentlicher Menschheitstod ist an sich
nichts Undenkbares." „Es fehlt uns an Gründen, gerade
diese Gestaltung in der angegebenen Bestimmtheit als Zukunftsansicht
hinzustellen; im Gegentheil deutet der ganze
Lauf der Dinge zunächst auf eine stetige Entwicklung,
welche die Menschheit einst, anstatt sie zu einem Leichnam
zu machen, in eine veredelte, erheblich anders ausgestattete
Gattung überleiten wird. Gesetzt aber auch, es wäre mit
einem vollständigen Menschheitstode zu rechnen, so würde
diese Ansicht nur geeignet sein, uns die Bedeutung des
Lebens noch nachdrücklicher zu lehren." Der Theorie zu
Liebe soll selbst im Fall eines Menschheitstodes die Bedeutung
des jetzt vorhandenen Lebens dadurch nur im
Werthe steigen. Und doch ist ja für den wahrscheinlicheren
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