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v. Seeland: Die Logik der materialistischen Lehre etc. 561
postulat nicht entspricht. Zwar ist für sein tieferes
Gerechtigkeitsbedürfniss eine Welt des Zufalls, deren Urgrund
nicht auf die schliessliche Ausgleichung des Bösen
angelegt wäre, eine Teufelei, die für moralisch angelegte
Wesen keinerlei Werth haben kann; zwar spricht er sich
in besagtem Werke schon entschieden gegen die Wahrscheinlichkeit
einer Verlöschung des universellen Lebens
aus; das Ich als „Seelending" aber, und damit auch die
persönliche Fortdauer gelten immer noch für Wahn. Gleichwohl
heisst es (S. 258—259): „Ist der Ichwahn beseitigt,
so bleibt kein Ding, sondern nur ein Vorgang übrig, und
dieser ist das einzig Wirkliche, das einzig Interessante am
Einzelmensehen. Wohl aber kann sich die weitere Theil-
nahme darauf richten, welches Verhältniss dieser Vorgang
zu allen andern Vorgängen des Seins und zu diesem selbst
habe. Auch an die Zukunft kann sich die Hoffnung
knüpfen, dass er in irgend einem Wesen und Vorgang eine
bessere Beleuchtung erfahre, dass sich also für irgend ein
künftiges Bewusstsein das als gerechtfertigt und ausgeglichen
zeige, was etwa an einem Schicksal oder dem Schicksal
überhaupt noch Unbefriedigendes gewesen. Mit dieser Idee
aber begiebt man sich schon, so rationell sie an sich gehalten
ist, hart an die Grenze, wo das Leere, das Dunkle
und die Träume beginnen. Die Zuversicht und das Vertrauen
, mit welcher der gute Charakter voraussetzt, es sei
für ihn in der Ordnung der Dinge auch in deren unerkannten
Gebieten befriedigend, ist das einzig Stichhaltige."
Wie unbestimmt immer diese Stelle gefasst ist, ihr
Sinn ist jedenfalls der, dass an einem Bewusstsein, welches
sich in dem gegebenen Leben unglücklich fühlte, irgend
wann in Zukunft eine Ausgleichung vorgenommen werden
müsse, dasselbe sich also dann in entgegengesetzter Weise,
d. h. glücklich fühlen werde, ohne übrigens zu wissen, warum
und woher ihm das kam. Eine solche Ausgleichung wäre
demnach gerade so viel wie eine sogen. Seelenwanderung,
wo ein Mensch, dem es in einem früheren Leben unverdient
schlecht ging, in einem späteren eben deshalb glücklich
lebt, jedoch ohne jegliche Ahnung oder Erinnerung an
seine Vergangenheit.
Allerdings genügt schon diese Art von Ausgleichung
dem moralischen Bewusstsein ungleich mehr, als die platte
Verneinung jeglicher postmortaler Ausgleichung und ausser-
menschlicher Gerechtigkeit überhaupt. Doch ist sie nicht
das wahre Ideal. Für Thiere, namentlich für die stumpferen,
wäre vielleicht auch diese Art der Fortdauer und Ausgleichung
anzunehmen j dem Menschen ist es damit nicht
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