http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1903/0497
Wernekke: Die menschliche Persönlichkeit etc. 563
experimentellen Trancezustandes anderntheils. Sie zeigen
den Einfluss der Fremd- und der Selbstsuggestion auf die
höheren normalen und supernormalen Fähigkeiten, auf den
Charakter, auf die Persönlichkeit, und eröffnen damit einen
besonders interessanten Ausblick in die Zukunft. Der
Mensch ist in der Entwickelung begriffen, und die hier einschlagenden
Experimente weisen darauf hin, dass es in seiner
Macht steht, auf vorher unbekannten Wegen diese Entwicklung
zu beschleunigen.
Das folgende (VI.) Kapitel über den sensorischen
Automatismus, oder die unwillkürliche Thätigkeit der
Sinneswerkzeuge, hat Experimente zu behandeln, welche,
weniger bekannt und untersucht als die hypnotischen, ihrerseits
einen weiteren Einblick in unsere subliminalen Fähigkeiten
eröffnen — durch Botschaften, die das subliminale
Ich durch Vermittelung der Sinne dem supraliminalen sendet:
Bilder, die innerlich erzeugt, auch dem äusseren Auge sichtbar
werden, Stimmen, die aus dem Innern kommend, auch
dem äusseren Ohre hörbar werden. Halluzinationen der
früher (Kap, II) erwähnten Art sind krankhaft; aber es
können solche auch bei körperlicher und geistiger Gesundheit
eintreten, können in ihrer Bekundung höherer, sonst
verborgener Fähigkeiten den Eingebungen des Genies ähnlich
sein, ja in gewissem Sinne sie übertreffen. Dergleichen
Botschaften, subjektive Halluzinationen, geben nicht noth-
wendig neue Erkenntnisse; sie erweitern den schon vorhandenen
Vorstellungskreis, ohne ihn eigentlich zu verändern
. Aber trotz ihres halluzinatorischen Charakters
verkünden sie zeitweilig Wahrheiten, die tiefer liegen, als
die gewöhnliche Sinneswahrnehmung dringen kann. Die
Versuche über Telepathie beweisen die Uebertragung von
Vorstellungen und Empfindungen von einem Geiste auf den
andern ohne Mitwirkung der anerkannten Sinnesorgane.
Telepathie und Telästhesie*) treten ja nicht nur im Traume
und in der Hypnose auf, sie kommen auch im wachen Zustande
vor. Zuweilen werden sie durch direkte Versuche
herbeigeführt, doch treten sie noch öfter spontan ein durch
*) Beide Ausdrücke sind von Myers zuerst vorgeschlagen (1882).
Unter Telepathie oder Ferngefühl versteht er, wie oben
gesagt, die Üebertragang von Eindrücken irgendwelcher Art von
einem Geist auf den andern, unabhängig von dem Wege der Sinne.
Die Mitwirkung der letzteren ist aasgeschlossen durch die Entfernung
zwischen Entsender und Empfänger des Eindrucks, welche übrigens
sehr verschieden sein kann: Telepathie kann bestehen zwischen
Personen in demselben Zimmer, oder zwischen einer in England
und einer in Australien, oder auch zwischen einem Lebenden und
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1903/0497