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566 Psychische Studien. XXX. Jahrg. 9. Heft. (September 1903.)
zufälliges Zusammentreffen nicht stichhaltig ist. Damit gewinnt
die alte Frage die bestimmtere Passung: Lässt es
sich mit ebensolcher Bestimmtheit nachweisen, dass ein
Phantom nicht nur zur Zeit des leiblichen Todes erscheinen
kann, sondern auch nach demselben, dass es mit einem
fortdauernden individuellen Leben in Verbindung steht?
Auf diese bestimmte frage lässt sich — nach Myeri Meinung
— jetzt eine bestimmte und bejahende Antwort geben.
Die Erfahrungsthatsachen berechtigen zu dem Schlüsse, die
Telepathie sei ein Gesetz, das durch die geistige wie materielle
Welt hindurchgeht, ufid wer in dieser Welt telepathisch
mit uns in Verbindung treten kann, werde es auch
können in jener Welt. Zunächst mag man von der Beobachtung
solcher Phantome nur geringfügige Ergebnisse
erwarten. Mit den Sternschnuppen ist es ähnlich: plötzlich
erscheinen und verschwinden sie. Dennoch haben wir
durch systematische Beobachtung vieles über sie und von
ihnen gelernt. So können wir wohl auch aus fortgesetzter
Beobachtung jener vereinzelten, flüchtigen Erscheinungen
schliesslich mancherlei lernen: über ihre relative Häufigkeit
zu verschiedenen Zeiten nach dem Tode, über die Kunde,
die sich nach dem Abscheiden aus dem Diesseits erwerben
lässt. Und ihre Bedeutung würde noch erhöht werden,
wenn sich die bewusste und willige Mitwirkung der Abgeschiedenen
herbeiführen Hesse. Die Möglichkeit der Gre-
dankenmittheilung ist festgestellt in allen vier Formen:
Hören und Lesen, Schreiben und Reden; es können also
sowohl unsere Sinnes- als unsere Bewegungsorgane durch
fremde Intelligenzen beeinflusst und geleitet werden.
Der Betrachtung des sensorischen Automatismus
schiiesst sich daher (Kap. VIII und IX) die des motorischen
an, der unwillkürlichen Thätigkeit von Hand und
Stimme zur Vermittelung von Botschaften, die von aussen
zu kommen scheinen» Ob sie nothwendig und thatsächlich
fremden Ursprungs sind, lässt sich allgemein nicht entscheiden
. In den meisten Fällen können beide Formeu des
Automatismus auf unbewusste Seelenthätigkeit zurückgeführt
werden. Die Neigung zum automatischen Schreiben
kommt selbst bei ganz gesunden Personen vor. Meist aber
ist der Inhalt der Botschaften verworren — wie ein Traum,
als flössen sie aus einer Quelle, wo tiedanken und Empfindungen
ohne ein zusammenfassendes Vermögen durch einander
gehen. Doch giebt es auch „wahrsagende" *) Bot-
*) Auch hier drängt sich die Notwendigkeit einer Klärung
des Sprachgebrauchs auf. „Wahrsagen44 wird im gewöhnlichen
Leben ebenso wie „prophezeien* gebraucht: im Sinne eines un-
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