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Wernekke: Die menschliche Persönlichkeit etc.
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weilig gewisse Erinnerungen ganz entschwunden zu sein
scheinen, die doch später, vielleicht gemeinsam mit ganz
anderen und widerstreitenden, wieder auftauchen. Und im
Schlafe scheint auch zuweilen der Geist aus dem Körper
auszutreten und mit neu gesammelten Eindrücken zurückzukehren
, die wohl auch im wachen Zustande noch spürbar
sind. Zustände geistiger „Abwesenheit" sind zu beobachten
in der Schaffensthätigkeit des Geistes und in der Ekstase.
Wird dadurch die Möglichkeit eines zeitweilig freigewordenen
Organismus nahe gelegt — wie widerstrebend man
auch aus spekulativen Gründen auf eine solche Annahme
eingehen mag —, so wird auch seine Besitzergreifung durch
einen fremden Geist wahrscheinlich gemacht, durch die
telepathischen Vorgänge. Bei diesen finden wir, von der
blossen Uebertragung vereinzelter V orstellungen oder Bilder
ausgehend, einen stetigen Portschritt zur Mittheilung zusammengesetzter
und dauernder Eindrücke. Lässt sich
jene rein mechanisch, durch blossen Anstoss zu gleichgestimmten
Aetherschwingungen zwischen einem Geiste und
dem anderen erklären, so deuten doch diese inneren oder
auch veräusserlichten Wahrnehmungen oftmals auf einen
noch engeren Verkehr der Geister hin, als er im gewöhnlichen
Leben durch die persönliche Nähe gegeben ist. Ist
nun telepathische Verbindung auch mit entkörperten Geistern
möglich, so kann diese doch nicht auf blossen Aetherschwingungen
beruhen. Die Verbindung aber findet jedenfalls
statt, und wenn der Einiluss des entkörperten Geistes
unter Umständen einen Theil unseres Gehirnes trifft und
damit unsere Wahrnehmungen und Handlungen zu automatischen
macht, so erscheint es wohl denkbar, dass er
auch das ganze Gehirn erfassen kann, dass der ganze
Orgatiismus durch einen fremden Geist erregt und geleitet
wird, wobei das Medium nichts von dem weiss, was sein
Körper schreibt oder redet. —
Der Verfasser schliesst seine Darstellung mit einer Betrachtung
über die Bedeutung der psychischen Forschung
für Moral und Religion. Wenn das Ergebniss dieser
Forschung lautet:
Die Geisterwelt ist nicht verschlossen,
wenn sie also einerseits die Existenz einer jenseitigen Welt,
andererseits die Möglichkeit, ja Thatsächlichkeit, einer Verbindung
zwischen dem Diesseits und dem Jenseits darthun kann,
dann kann der Mensch sich wirklich heimisch fühlen in der
Welt. Die schlimmste Furcht ist gehoben, die wahre
Sicherheit gewonnen: die schlimmste Furcht ist die vor
geistiger Vernichtung oder geistiger Vereinsamung, die
wahre Sicherheit liegt im Gesetze der Telepathie. Tele-
Psyclüscha Studie«. September 1903. 37
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