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570 Psychische Studien. XXX. Jahrg. 9. Heft. (September 1903.)
pathie in ihrer Steigerung ist Liebe, und allumfassende
Liebe ist die Grundlage der Moral wie der Religion.
Ihren Lehren nach lassen sich in der Religion drei Phasen
unterscheiden: die älteste, in deren Grundanschauungen,
von Lao-tse angefangen, viele unabhängige Denker aller
Zeiten und Völker übereinstimmen, in ihren Ausgestaltungen
als natürliche Religion, Pantheismus, Piatonismus, Mystizismus
bezeichnet, lehrt das Zusammenbestehen und wechselseitige
Durchdringen einer realen oder geistigen und einer
materialen oder Erscheinungswelt. Die zweite Form, ebenfalls
sehr alt, kulminirt in historischer Zeit, in der Religion
des Buddha. Für den Buddhismus sind alle sich durchdringenden
Welten Stufen für das Emporsteigen des
Menschen, bis zuletzt dessen Geist, von allem täuschenden
Scheine befreit, in das unpersönliche All eingeht. Diese
Lehre hat ihre Beziehung zur Wirklichkeit verloren; sie
gründet sich auf keine beobachtete oder erfahrbare That-
sache. Als jüngste Phase, auf erlebte Thatsachen gegründet
, erscheint das Christenthum. Diese Thatsachen,
soweit sie überliefert sind, weisen hin auf den übermenschlichen
Oharakter des Stifters und seinen Sieg über den
Tod — damit aber auf das Dasein und die Einwirkung
einer geistigen Welt, worin der Mensch sem eigentliches
Bürgerrecht hat. Von dem freien Standpunkte der alten
Weisen angesehen, überwiegt der aus diesen verschiedenen
Religionsformen hervortretende Grundgedanke ihre formalen
Gegensätze. Aber nicht von ihrer blossen Verschmelzung
oder von Heraushebung ihrer werthvollsten Anschauungen ist
eine Neugestaltung der Religion zu erwarten: sie wird
hervorgehen aus neugewonnener Erkenntniss, und in
ihr wird jede grosse Religionsform ihren unentbehrlichen,
um nicht zu sagen ihren verheissenen, Abschluss finden.
Die Weissagung des heiligen Malachias.
Eine kritische Betrachtung von Sop/ius*)
Noch hat der Greis, der, mit einziger Ausnahme
Pius' IX, länger als irgend einer seiner Vorgänger den
Stuhl der Päpste eingenommen hat, die Augen nicht geschlossen
, so beginnt schon die JPrage: Wer wird sein
Nachfolger werden? Hie Gotti, hie Rampolla, hie Vmutdlil
*) Wir entlehnen diesen Artikel, der an historischein Interesse
dadurch nicht verliert, dass Leo XIIL inzwischen gestorben und
sein Nachfolger auf dem Stuhle Peiri hereits ernannt ist, der Nr. 854
des „Berliner Tagehlatt* vom 15. Juli er. — In Erfüllung gegangen
ist jedenfalls eine in dem von der Leo-Geseüschaft in Wien heraus-
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