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Benedikt: Das Leben der Krystaile.
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Jeder Kry stall ist aber ein Gewebe, das eine systematische
, struktuelle Evolution hat. Der Krystall besteht
zum Schluss aus einer Reihe von hyalinischen Zellterritorien
mit verschiedenen Einschlüssen. Ein Theil dieser Einschlüsse
verdankt ihren Ursprung dem Kern als heterologe Produkte
desselben. Wesentlich ist, dass die Steinzelle, wenn sie die
Akme ihrer geminalen und formativen (plastischen) Reife
überschritten hat, hyalinisirt. Zuerst der Zellkörper (das
Protoplasma des Zellinhaltes), dann der Kern selbst mit
Ausnahme reiner heterologer Produkte, die der letzten
Phase seiner formativen Thätigkeit angehören. Die Hauptachse
eines weidenden Krystalls, welche für denselben die
Wirbelsäule ist, die jedoch später wieder verschwindet, hat
fünf Phasen ihrer struktuellen Evolution. Das schliesst
nicht aus, dass der ganze Vorgang sich in einem Moment
abspielen kann, dass jedoch dieser Moment für uns einer
Reihe von zeitlich getrennten Phasen entspricht, für deren
Wahrnehmung unser Gehirn nicht geeignet ist.
Die epochemachende Bedeutung dieser Untersuchungen
und ihrer Ergebnisse kann Niemandem entgehen. Wir
sehen im Mineralreich die Bildungsvorgänge, wie wir sie
bisher den Lebewesen im Pflanzen- und Thierreich ausschliesslich
zuerkannt haben und welche für den Begriff
des „Lebens" maassgebend waren. Wir sehen nämlich in
einem Protoplasma kernhaltige Zellen mit Fortsätzen und
Kerne entstehen, welche sich durch Aufnahme von Nahrung
von aussen (Assimilation) vergrössern, sich theilen und
fortpflanzen. Dadurch muss unser bisheriger Begriff vom
Leben verändert werden. Wir sehen ferner Richtungs- und
Furchungsvorgänge, besonders analog der Kariokynese im
Bereich des Pflanzen- und Thierreiches und Spaltung der
Grundsubstanz in zwei Grundsubstanzen, die dem Nuklein
und dem Paranuklein analog sind.
Wir sehen hier aber auch eine Entstehung von Zellen
und Kernen durch Generatio spontanea, die wir logischerweise
als Ursprungsvorgänge im Thier- und Pflanzenreiche
annehmen müssen, die wir aus Mangel von positiven That-
sachen wahrscheinlich unrichtigerweise für unsere geologische
Periode leugnen. Sie sehen auch ein, dass der Begriff
einer Lösung von Salzen, der schon durch die Lehre von
den freien Zonen eine solche Umwälzung erlitten hat, durch
die Studien von Schrön weiters gründlich verändert wird.
Dass in jeder Lösung Lebenskeime stecken und zwei
verschiedene plasmatische Substanzen, ist eine tief eingreifende
Modifikation unserer jetzigen Anschauung. Für
Wien hat diese Darstellung Schrön's noch eine besondere
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