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692 Psychische Studien. XXX. Jahr$. 11. Heft. (Kovember 1903.)
nimmt; hat er einerseits die Grösse seiner Intelligenz zu
erkennen gelernt, so hat er andererseits die Schwäche
seiner Sinne zu ermessen vermocht.
Das Leben hat sich überall den Blicken des Forschers
erschlossen im Gebiet der mikroskopischen Wesen, wie
auf der Oberfläche der Weltkugeln, die im unermesslichen
Raum dahinrollen. Das Studium der unsichtbaren Welt
soll nun dieses Aufsteigen der Wissenschaft ergänzen; es
eröftnet dem menschlichen Gedanken neue Horizonte, unendliche
Perspektiven. Künftighin wird die Kenntniss der
Seele und ihrer Bestimmungen nicht mehr das Vorrecht
der Weisen und der Eingeweihten sein. Die ganze Menschheit
ist berufen, an den geistigen Gütern theilzunehmen,
die ihr väterliches Erbgut ausmachen. Wie die Sonne für
alle Augen aufgeht, so soll das Licht vom Jenseits, indem
es alle Herzen erwärmt, mit seinen Strahlen alle Intelligenzen
erhellen.
III. Abtheilung.
Tagesneuigkeiten, Notizen u. dergl.
ylstrometeorologie in mythologischem
Gfe wände.
Von Albert Kniepf
Eine neue Erklärung der Sintfluthsageu unternimmt im
„Archiv für Religionswissenschaften" ein württembergischer
Theologe, Stadtpfarrer Dr. BÖklen in Grrossbottwar. Dr. Böhlen
giebt die orthodoxe Ansicht und die wörtliche Annahme des
Berichtes vollständig auf; er verlässt aber auch den Weg
der bisher versuchten Erklärungen. Denn er sieht in den
verschiedenen Sintfluthsagen der Völker weder eine Erinnerung
an ein gemeinsames Erlebniss der Menschheit in
der Urzeit, noch an eine Reihe lokaler, aber ähnlich verlaufener
Katastrophen, sondern vielmehr einen — Naturmythus
, genauer gesagt, einen — Mondmythus. Die Gewässer
, die NoaKs Arche getragen haben sollen, sind nicht
irdische, sondern es ist der Himmelsozean, und die Arche
selbst ist der die Phantasie aller naiven Gemüther in alter
und neuer Zeit stets anregende gute Mond. Aus zahlreichen
Parallelen der gesammten Religionsgeschichte kommt er
unter Einhaltung einer ganz genauen Methode zu dem Ergeh
niss, dass vielen Völkern drei Hauptvorstellungen ge-
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