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Karze Notizen.
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der Vergessenheit entrissen hat. Der den Tondichter wie
seinen unglücklichen Freund ehrende Aufsatz Lyser's erschien
unter der Ueberschrift: „Zur Biographie Mendelssohn-Bart-
holdy's" unmittelbar nach dessen unerwartetem Tod in den
„Wiener Sonntagsblättern" am 5. Dezember 1847 und enthält
persönliche Erinnerungen, welche Lyser als einen „künftigen
Biographen des geschiedenen Meisters [mit dem er
das letztemai vor 7 Jahren zusammengetroffen war] willkommenen
Beitrag zu seiner Charakteristik als Mensch und
Künstler" schmucklos niederschrieb. Die erste Begegnung
fand 1834 (Lyser meint 1833) in Leipzig statt, wo Mendelssohn
auf kurze Zeit als Nachbar in Reichet* Garten bei
dem ihm befreundeten Sänger Mauser wohnte, den Lyser in
der Freimaurer-Loge „Minerva" kennen gelernt hatte, und
zwar nach der Aufführung seiner Ouvertüre zur Fingalshöhle
(„Hebriden") im Gewandhauskonzerte, dessen Direktor
der erst 26 jährige Meister schon im nächsten Jahre wurde
Letzterer hatte Lyser's (in Schumann's Zeitschrift vom 12. Mai
bis 2. Juni 1834 erschienene) Novelle „Vater Doles'* mit
Interesse gelesen und fragte, als dieser den originellen
Schluss der Hebridenouvertüre rühmte, verwundert, ob L.
denn noch Musik hören könne. Auf seine Antwort: „Ja,
wenn ich es will und ein paar Tage Kopfschmerzen nachträglich
nicht scheue", meinte er lachend. L. sei eigentlich
ein glücklicher Unglücklicher, dass er keine schlechte Musik
zu hören brauche, und bedankte sich, dass er ihm zu Ehren
ein paar Tage Kopfweh nicht gescheut habe. Später schrieb
L. zu Dresden in der Musikzeitung die ergreifende Novelle:
»Sebastian Bach und seine Söhne", worauf ihm Mendelssohn
durch Schumann ein ihm ausdrücklich zugeschriebenes, tief
ergreifendes, schwermüthiges „Lied ohne Worte" sandte und
ihn bei der nächsten Begegnung in Leipzig aufforderte, ihm
einen Operntext zu schreiben, L. war von der Idee so begeistert
, dass er auf der Rückreise nach Dresden, als er
wegen Unwohlseins in Chemnitz einen Tag rasten musste,
nach der schönen Erzählung des Freiherrn v. Rumohr: „Der
letzte Savello" den Text einer Oper „Isola" in einem Tag
und einer Nacht niederschrieb und an Felix nach Leipzig
schickte; allein schon nach 8 Tagen erhielt er ihn zurück,
indem M. schrieb: „Ich habe einen harten Kampf mit mir
gekämpft. Ihre Dichtung ist schön, sie hat mich ergriffen,
die Verse sind so musikalisch, wie ich sie mir nur wünschen
könnte, die Handlung spannend; gut komponirt muss die
Oper mächtig wirken — aber ich kann sie nicht kompo-
niren, ich nicht! Und das ist Ihre Schuld! Warum senden
Sie mir ein Buch, dessen Inhalt mich erschreckt, betrübt,
4d*
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