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Briefkasten.
71t
Briefkasten.
Herrn Prof. Dr. 0. K. in St danken wir verbindlichst für den
eingesandten Bericht über die „bedeutsame Rede*, welche auf dem
vom 21. September ab in Kassel tagenden 75. „Kongress deutscher
Naturforscher und Aerzte" vor ungefähr 2000 Theilnehmern — darunter
den hervorragendsten Vertretern deutscher Wissenschaft —
Professor Ladenbnrg-Breslau über das Thema: „Der Einfiuss
der Naturwissenschaften auf die Weltanschauung*" gehalten
hat. Raumrücksichten zwingen uns leider, anstatt einer ausführlichen
Besprechung hier nur an die springenden Punkte des
Vortrages, soweit sie das Problem der Seelenforschung näher betreffen
, die kritische Sonde anzulegen. Dass erst der durch die
Naturwissenschaften — übrigens in unmittelbarer Folge der Wiederbelebung
des Studiums hellenischer Kunst und Wissenschaft — begründete
Humanismus eine neue Zeit, ja eine neue Welt für die
Menschheit geschaffen hat, wird der Kenner ihrer kulturgeschichtlichen
Entwickelung gewiss nicht bestreiten und daher mit dem
Eedner das Bedauern theilen, dass der finstere Geist des Mittelalters
aus der die Resultate der modernen Naturwissenschaft geflissentlich
;gnorirenden Schulbildung noch immer nicht ganz geschwunden
ist, insofern „jeder in seiner Jugend gezwungen wird, ein Religionsschema
anzuerkennen/' Auch darin stimmen wir ihm — obschon
sein Satz: „Alles in der Natur Vorkommende ist natürlich", in
dieser Form eine nichtssagende Tautologie ist — vollkommen bei.
dass es strenggenommen keine Wunder giebt und niemals ein
Wunder gegeben hat. Allein schon der hieraus weiter gezogene
Sehluss, dass mit dieser Auffassung die Vorstellung eines Gottes,
dessen über den Gesetzen stehende Allmacht doch irgendwo
und irgendwann in die Erscheinung treten müsste, schlechterdings
unvereinbar wäre, scheint uns, philosophisch betrachtet,
nicht über jeden Zweifei erhaben zu sein, da es dem endlichen,
schon äusserlich sehr beschränkten Denken des Menschen ganz wohl
einfach unmöglich sein kann, das der Natur immanente
unendliche We^en einer „Gottheit** mit seinem jetzigen Vorstellungsvermögen
geistig zu erfassen. Noch weniger vermögen wir aber —
und zwar vonv allen durch den Spiritismus angeblich gelieferten
Erfahrungslbeweisen abgesehen, schon aus logischen
Gründen — den sehr gewagten Satz zu unterschreiben, dass die
Unsterblichkeitslehre einer strengen Prüfung nicht Stand
halte. „Heute führen wir unsere Abstammung auf dieselbe Stammform
zurück, wie manche Thiere. Auch die Intelligenz beanspruchen
wir nicht mehr allein für uns; in welch ausgedehntem
Maasse kommt si<* z. B. dem Hunde zu! Sind die Menschen
unsterblich, warum sollten dann die Thiere nicht
unsterblich sein? Ein Mann hat Grosses im Leben geleistet,
er war genial und wird im Alter kindisch, welche Seele lebt fort?"
Dass auch der so oft gehörte letztere Einwand schon a priori nicht
stichhaltig ist, sintemal die an ihren irdischen Organismus noch
gebundene „Seele" doch selbstredend in ihren Lebensäusserungen
durch die im Alter zunehmenden Mängel ihrer „Maschine" zu ihrem
Nachtheil mehr oder weniger stark beeinflusst werden müsste, leuchtet
jedem Unbefangenen ein und ist schon sattsam durch das Bild eines
defekten Klaviers veranschaulicht worden, auf dem auch die herrlichste
Melodie nur entstellt zum Ausdruck kommen kann. Was
aber die für die Thierseele zu postulirende Unsterblichkeit betrifft
— eine Frage, über welche auch wir des Oefteren von wissensdurstigen
Lesern interpellirt werden — so inus* wie wir schon ver-
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