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738 Psychische Studien. XXX. Jahrg. 12. Hett. (Dezember 1903.)
unter allen Umständen ungehörig und rechtswidrig sei,
einerlei ob die Angeklagte ihrerseits sich dabei einer absichtlichen
Täuschung schuldig machte oder nicht. 1898
gerieth sie in den Verdacht des Meineids, weil sie im
Widerspruch mit mehreren Zeugenaussagen bei ihrer gerichtlichen
Vernehmung in Chemnitz beschwor, einen wegen
Geisteskrankheit entmündigten Rittergutsbesitzer niemals
zu ihren Gunsten beeinflusst zu haben; sie erbrachte jedoch
ein von drei Aerzten in Loschwitz bei Dresden unterzeichnetes
Gutachten, wonach ihre der Hypnose nahestehenden
Trancezustände zweifellos echt seien, so dass sie mit der
Annahme, in diesen Zuständen den Willen Verstorbener
kundzugeben, in gutem Glauben handle. — Durch den
Untersuchungsrichter wurde festgestellt, dass die R. vom
1. Okt. 1901 bis 1. März 1902 in 60, durch hektographirte
Zuschriften ihres Impresario vorbereiteten Sitzungen ca.
3000 M. einnahm; letzterer selbst giebt in ihrer von ihm
verfassten Lebensbeschreibung die Zahl der Sitzungen
während ihrer 8jährigen Praxis als Medium auf 1500—IbüO
an; Sicheres über den von ihr persönlich erzielten Gewinn
konnte nicht ermittelt werdeu. Mehrere Aerzte traten bis
zuletzt mit Nachdruck für die Echtheit ihrer Vorführungen
ein; es kam vor, dass Personen von dem Eindruck der gesehenen
Wunder überwältigt vor ihr niederknieten und ihr
wie einem höheren Wesen in Ehrfurcht die Hand küssten;
eine einzige Dame Hess ihr einmal für ihre Bemühungen
ca. 500 M. zukommen. Die Menge der Blumen war oft
überraschend gross (bis zu 200 Stück, darunter Objekte
von erheblicher Grösse); der Umstand, dass sie mehrfach
auch Eisstücke apportirte, legt die Vermuthung nahe, dass
sie die Blumen in einem unter dem tüten förmig zusammengelegten
(nicht angezogenen, sondern vorgebundenen) Unterrock
versteckten Behälter mit Eis frisch erhielt.
Sicheres hierüber hat sich jedoch leider durch die am
1. März 1902 zu Berlin erfolgte polizeiliche Entlarvung bekanntlich
nicht ergeben. Sie selbst meinte, es sei sehr
wohl möglich, dass die unter ihren Kleidern gefundenen
Blumen aus ihrem Leibe (wie früher schon aus ihrem
Munde) hervorgekommen wären. Der Impresario zeigte
sich bei seiner Vernehmung über die Auffindung der
Blumen zunächst erstaunt und äusserte, er könne sich nicht
denken, jahrelang das Opfer eines Betrugs gewesen zu sein;
die spiritistischen Sachverständigen könnten ohne Zweifel
eine wissenschaftliche Erklärung der Sache geben, er selbst
müsse jetzt annehmen, dass die Ä., unter höherem Einfluss
stehend, sich die Blumen im somnambulen Zustand vorher
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