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764 Psychische Studien. XXX. Jahr*?. 12. Heft. (Dezember 1903.)
nomens wohl oder übel; aber haben wir trotz unserer
minutiösen und exakten Untersuchungen wirklich einen
Begriff davon, wie diese Entwicklung des sich zu einem
grossen Lebewesen ausgestaltenden Protoplasmas vor sich
geht? Welches Wunder bewirkt denn diese Segmentation ?
Und warum häufen sich denn gerade hier diese Kernchen
an? Warum werden sie hier zerstört, um sich anderwärts
von Neuem zu bilden?
Wir leben, umgeben von unbegrenzt vielen Phänomenen,
ohne dass auch nur ein einziges von ihnen hinreichend bekannt
wäre; sogar das aller einfachste ist noch geheimnissvoll
. Der wahre Gelehrte hat also allen Grund, einerseits
bescheiden, andererseits aber bisweilen beherzt zu sein: bescheiden
, weil unser Wissen soviel wie nichts ist (gegenüber
dem, was wir nicht wissen), beherzt, da sich ihm ein
so ungeheures Gebiet unbekannter Welten eröffnet." —
Wann wird wohl die Zeit kommen, wo ein deutscher
Hochschulprofessor den Muth finden wird, den bestehenden
Vorurtheilen zum Trotz solche Worte echter Weisheit in
einem Vorwort zu einem im Verdacht des „Spiritismus"
stehenden Buch öffentlich auszusprechen, anstatt die Forscher
auf diesem Gebiet dem Fluche der Lächerlichkeit
preiszugeben und zu behaupten, wer an Phantomerschein-
ucgen glaube, könne „von der modernen Wissenschaft
heutzutage nicht mehr ernst genommen" werden?
Graphologie — Telepathie?
Von F. An ton Schlächter (Nürnberg)*)
Frau Baronin Ungern-Sternberg fühlte sich gedrungen,
die Ehre der wissenschaftlichen Graphologen zu retten, indem
sie in der Oktobernummer der „Uebersinnlichen Welt" einen
Vertheidigungsartikel veröffentlicht, um die Graphologie vor
dem Misskredit zu bewahren, der durch meinen Artikel^*)
in Nr, 6 der „Uebersinnlichen Welt'4 d. J. hervorgerufen
sein soll.
Frau Baronin ist noch so gnädig, vorauszusetzen, dass
es nicht in meiner Absicht gelegen sei, die wissenschaftliche
Graphologie als nicht ganz zuverlässig hinzustellen. Dem
muss ich entgegenhalten, dass ich mich von den Erfolgen
*) Der Herr Einsender dieser Polemik ist Mitglied der „Ges.
für wiss. Psychologie'* zu München. Es sollte uns freuen, wenn
diese Erwiderung Anlass zu weiterer Diskussion des in den „Psych.
Stud.* bis jetzt noch nicht zur Erörterung gelangten graphologischen
Problems geben sollte. — Red.
**) rEin Beitrag zur intuitiven Graphologie."
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