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Somnambule Verbrecher-Finder.
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schoss sie mit einer Kugel aus dem Gewehre eines der
Schläfer. Als die Sendboten des Kaisers nicht zur erwarteten
Zeit in Adis Abeba anlangten, ahnte man sofort Böses und
ging auf die Suche. Man fand die beiden Opfer, bereits
von Thieren angefressen. Nun brachte man aus Adis Abeba
einen Lebascha auf den Platz und Hess ihn trinken und
rauchen. Der Knabe rannte lange herum, kehrte dann
nach Adis Abeba zurück, ging zu einer Kirche und küsste
sie, ging zu einer zweiten Kirche und küsste sie ebenfalls,
stürmte nachher zu einer Art Grabgewölbe, kam dann über
Wasser, musste, weil er aus seinem Zustand erwachte,
neuerdings trinken und die Züge thun, rannte um einige
Hütten herum und schlief auf der Treppe einer solchen
ein. Der Besitzer war gerade nicht zu Hause; man fragte
nach ihm, verbarg sich, Hess ihn heimkommen und verhaftete
ihn. Während seines Leugnens untersuchte man die Hütte
und fand darin versteckt die Habseligkeiten
der beiden Ermordeten. Der Kaiser interessirte
sich besonders für den Fall und verhörte den Verbrecher
persönlich. Auf seine Frage, welchen Weg er nach seiner
Unthat gemacht habe, beschrieb der Verbrecher genau
die Route, die der Lebascha eingeschlagen,
und erklärte, dass er die Kirchen geküsst habe, weil eine
grosse Reue über ihn gekommen sei. „Bist Du von der
zweiten Kirche weg sofort nach Hause gegangen ?* fragte
Menelik. Auf die bejahende Antwort donnerte der Kaiser;
»Nein! Sage nur die Wahrheit. Deine Strafe kann nicht
grösser werden." Da gestand der Verbrecher, dass er noch
in einem Grabhügel gewesen sei, um die geraubten Schätze
zu verbergen, sie dann aber nach Hause genommen habe,
weil er dort kein genügendes Versteck gefunden.
Eine weitere Merkwürdigkeit mit dem Lebascha ist
nämlich die, dass er genau den gleichen Weg, die gleichen
Bewegungen und die gleichen Ruhepunkte macht wie der
Verbrecher. Er ist also in gewissem Sinne mit einem
Jagdhund zu v ergleichen, dessen Spürnase den Weg,
den das Wild gemacht hat, findet.
Die „Neue Züricher Ztg.u fügt hinzu: Würden uns
das nicht solche Gewährsleute erzählen, wie Herr und Frau
Minister llg sind, die nichts weniger als zu den abergläubischen
Menschen gezählt werden dürfen, so erschienen
diese Zeilen nicht in einem ernsten Blatte. So möge noch
ein drittes, von den Genannten ebenfalls miterlebtes Beispiel
hier angeführt werden. Die Lebascha - Knaben entstammen
alle einer bestimmten Familie oder Verwandtschaft,
deren Glieder über das ganze Reich verbreitet sind. Nun
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