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4 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 1. Hütt. (Januar 1904.)
Der Geist, die Gedanken der Nation wurden von der
Litteratur beherrscht. In mächtigem, Alles überragendem
Selbbtbewusstsein stand noch Goethe da, gereift, in der
Weisheit seines Alters, und so sehr ihm religiöse Schwärmerei
und mystische Ahnungen stets unheimlich waren,*) so
sehr fühlte er stets die Notwendigkeit des Weltbürger«
sinns für das Deutschthum und belächelte das überspannte
Teutonenthum („TeutschthumaJ. Noch mehr widerte ihn
der Neokatholizismus der Romantiker an er nannte sie
„sehnsuchtsvolle Hungerleider nach df m Unei reichlichen."
Wir haben (in Theil B) gesehen, wie die giösste Mehrzahl
der sogenannten Romantiker entweder Apostaten wurden
oder in politischer Hinsicht einem idealistischen Qutetismus
huldigten und dadurch die Hauptstützen der feudalen
Restauration wurden, welche bis 1848 auf den Völkern
lasten sollte. Diese neue frömmelnde Unkunst zeigte sich
so recht klar Aller Augen in der Gestalt eines Zacharias
Werner, der ja auch während des Wiener Kongresses seine
süsslich exaltirten Kanzelreden im St Stefansdome unter
ungeheurem Zulaufe hielt. Werner wurde von hoher Seite
protegirt und wollte in den Orden der Redemptoristen treten.
Von Jugend auf hatte er schon einen Hang zum Mystischen
in sich verspürt; zuerst fiel er, wie wir in Theil ß schon
andeuteten, in die Hände eines excentrischen Sonderlings,
eines Pastors, Namens Christian Mayr, der — eine Art
Gagliostro — vorher bei Minister Wöllner Geheimsekretär
gewesen war. Durch diesen, der später durch Grübeln über
das Geheimniss der Dreifaltigkeit in Geistesverwirrung verfiel
und beim Abendmahl wirkliches Fleisch und Blut zu
geniessen behauptete, sollte Werner in den geheimnissvolien
Bund der „Kreuzesbrüder im Orient" aufgenommen werden.
In Warschau gewann /. /. Mnioch Einfluss auf ihn; er
weihte ihn in die Geheimnisse der Freimaurerei ein und
auf diesen mystisch«freimaurerischen Ideen baute Werner
dann seine, von uns ja schon ausführlicher besprochene
Tragödie „Die Söhne des Thals" auf. Gleich allen anderen
Romantikern wollte er das Leben der Zeit mit einem neuen
geistigen Inhalte erfüllen und dieser war ihm ein auf dem
*) Als er Frau v. K>üdener auf ihre alten Tage die gottbegeisterte
Prophetin spielen sah, meinte er drastisch und kurz:
„Hurenpack, zuletzt Propheten !tf Dazu vergleiche man aber desselben
' oelUe Worte: TDex Greis jedoch wird sich immer zum
Mystizismus bekennen; er sieht, dass so Vieles vom Zufall abzuhängen
scheint; das Unvernünftige gelingt, das Vernünftige
schlägt fehl, Glück und Unglück stellen sich unerwartet in's
Gleiche; so ist e», so war es und das hohe Alter beruhigt sich in
Dem, der da ist, der da war, der da sein wird/
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