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6 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 1. Heft (Januar 1904.)
des Weltgerichts, und was der fromme Christ zu thun habe,
damit diese Schrecknisse nicht an ihm in Erfüllung gehen.
Und in der Tbat, er übertrumpft da fast noch die Johanneische
Apokalypse und Schiller'& Traumerzählung des Franz
Moor. Eine Posaune wird aus den Wolken ragen und einen
Strom furchtbarer Töne herabschütten, rufend alle Menschen
vor den Richterthron. Alle diese Schrecknisse treffen jeden
verhärteten Sünder „mich und jeden von uns, der in einer
einzigen nicht gebeichteten oder nicht bereueten Todsünde
dahinfährt! — Herr gehe nicht mit uns in's Gericht
und gedenke nicht der Sünden unserer Jugend l"
Vor dem Satan hat Werner grimmige Angst; er zittert bei
dem Gedanken, in den Pfuhl, der wie Feuer und Schwefel
brennt, geworfen zu werden und ruft ein dreimaliges Wehet
über alle Diejenigen, welche derlei wüste, krankhafte Ausbrüche
eines bis zum Wahnwitz überreizten Pfaffenhirns
nicht glauben. —
Schilling, dessen späteres Wirken, in welchem seine
Philosophie zur Theosophie geworden war, wir in Theil ß
schon gestreift haben, hatte in seinen Schriften (ab 1797
bis lb06), mit Fichte völlig brechend, seine Naturphilosophie
gegründet und durch diese und seine sogenannte
Identitätsphilosophie auch mit die philosophisch-ästhetischen
Grundlagen gelegt, auf denen die Romantik sich
aufbauen sollte* Ja diese verpönte Naturphilosophie! Wie
hat man gespottet über sie. Wie erhaben über ihr dünken
sich heute die Naturwissenschafter. Und doch welche
Fülle von Geist birgt die vielgeschmähte in sich! Vor
allem geht ein einziger grosser Zug nach Einheit und
Universalität durch sie; seit Spinoza war die Philosophie
einheitsdurstig und die Einheit des Prinzips in Aesthetik,
Weltbetrachtung und Menschenerziehung erfüllte schon
Goethe und Schiller und auch die Romantiker, welche ja
ein Weltreich der Poesie gründen wollten. Diesen Romantikern
(den Tieck, Schlegel, Gries u. s. f.) kommt Schelling'z
Naturphilosophie gerade wie gerufen: „sie leistet, was diese
Poeten begehren, sie erkennt in der Natur den bewusstlos
wirkenden und schaffenden Geist in seinem gesetzmässigen
Stufengange, sie enthüllt und übersetzt gleichsam aus der
göttlichen in die menschliche Sprache das grosse Epos der
Natur, sie erobert die Naturwissenschaft dem Reich der
Poesie."*) In der anorganischen Natur richtete Schelling
*) Kuno Fischer: „Geschichte der neuern Philosophie"
(III. Aul.), VII. Band: (Schellinrj) I. 4, 38. Vergl. zum Folgenden
auch ebenda: II; Kapitel 7, 24, 28, 31.
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