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Kordon: Geistiges Schaffen unter Inspiration.
nicht übersehen werden, dass die Argumentation auf erhebliche
Schwierigkeiten stösst, wenn Inspiration im eigentlichen
Sinne, also Uebertragung der Gedanken eines Verstorbenen
auf einen Lebenden im Fleische, nicht nur Gedankenübertragung
zwischen auf Erden Verkörperten,
bewiesen werden soll. Die Fälle der durch Mittler gemachten
Mittheilungen aus dem sogen. Jenseits haben bisher
trotz Materialisationen, Apporten und anderen physikalischen
Phänomenen die eingefleischten Zweifler, worunter
sich in Deutschland fast alle Vertreter der „exakten" Natui-
wissenschaft befinden, nicht zu überzeugen vermocht, da^s
die „Todten leben"; und wenn es schliesslich für das
Schicksal des Okkultismus und Spiritualismus ebenso gleich-
giltig ist, ob diese hartnäckigen Skeptiker sich bekehren
lassen, wie es seinerzeit für die Entdeckungen Galilei''s,
Galvanfs, Newton9 s und Robert Mayer9 s, für die Erklärung
der Meteoritenfälle durch Chlaäni völlig bedeutungslos war,
dass selbst hochberühmte und gelehrte Zeitgenossen der
Entdecker und Erklärer das Verständniss für den Werth
der neu gewonnenen Erkenntniss nicht aufbringen konnten,
— der grosse Haufe der „Gebildeten'' lässt sich ungeachtet
aller materialistischen Sumpfgase nicht bestimmen, an eine
der ernstesten Fragen, die Menschen bewegen können, mit
der Absicht, sie vorurtheilslos zu prüfen, heranzutreten,
weil „unfehlbare" Professoren sie seit geraumer Zeit als
Narrheit und höheren Blödsinn gebrandmarkt haben. Und
das ist sowohl um der Irrenden, als um der Gesammtheit
willen Lief und ernstlich zu beklagen. Freilich haben selbst
Philosophen vom Schlage eines Carl du Prel dem „Offenbarungsspiritismus
" einen sehr geringen Werth beigemessen,
aber andererseits hat gerade dieser hervorragende Denker
die Bedeutung eines Werkes, wie Hudson Tuttles „Schöpfungsgeschichte
" nach Gebühr gewürdigt*)
Auch die Vollendung des Romanes „Mystery of Edwin
Drood" von Charles Dickens durch ein Medium, das nicht
im Stande gewesen wäre, den Stil des grossen englischen
Humoristen nur annähernd nachzuahmen, geschweige denn
einen von ihm begonnenen Roman auszuführen, — auch
diese Thatsache ist überaus beachtenswerth, wenngleich in
diesem Falle automatisches Schreiben stattgefunden
hat. Denn gerade dieser Umstand verleiht der spiritistischen
Hypothese eine sehr feste Stütze, und die
*) Ein späteres Hauptwerk desselben berühmten amerikanischen
„Sehers" erscheint demnächst in formvollendeter deutscher Ueber-
setzung unter dem Titel: „Die Philosophie des Geistes und der
Geisterwelt." Uebersetzt von G. E. weiss (Brooklyn) im Verlag
von 0. Mutze. -—Red.
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