http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1904/0034
26 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1904.)
Wie der Drang nach Gerechtigkeit, so müssen auch
andere, dem sittlich und intellektuell vorgeschrittenen Menschen
unentbehrlich gewordene ideelle Bestrebungen unter
dem Banne materialistischer Voraussetzungen nachgerade
verdorren, was man sofort einsieht, sobald man die letzten
Folgerungen zieht,
So wird z. B. in negativistiscben Kreisen mit Recht
viel auf exakte Wissenschaft und auf das Forschen
nach Wahrheit gehalten. Man übersieht jedoch, dass
der ganze Anlauf dabei schliesslich doch in ein Nichts einmünden
würde. —
Je ernster und heisser das Verlangen, mit dem der
forschende Geist das zu erforschende AU umschlingt, desto
niederschlagender muss ihm der Gedanke werden, dass
dieses eigentlich Nichts als ein zweck- und sinnloses Zufallsding
sei, welches heute Ordnung und Fortschritt, morgen
Rückschritt und Chaos heissen könne, dass also auch jenes
Band, welches ihn an das Heiligthum seiner Bestrebungen
knüpft, ein ganz loses sei und jeden Augenblick auf ewig
zerreissen könne.
Nun stellt sich Einem eine Weltanschauung in den
Weg, die eben dies lehrt und besagt: „Nie soll dein Drang
nach Erkenntniss über die Spanne Zeit, die dir zugemessen
ist, hinausgehen; sowohl du, wie deine fernsten Nachkommen,
überhaupt jeder denkende Geist, sollen für ewig auf eine
quenz musste ausgeglichen werden. Im Begriffe der Seele, als Idee
des Körpers, musste die Möglichkeit der Unsterblichkeit
gefunden werden. Indem die Seele ihren Körper erkennt,
erkennt sie ihn nicht bloss, wie er zeitlich ist, sondern sie erkennt
ihn „sub specie aeternitatis*', sie erkennt sein ewiges
Wesen, wie es mit Notwendigkeit aus der göttlichen Natur folgt.
Nicht weil die Seele Gott liebt, ist sie unsterblich, sondern weil der
Körper selbst einerseits zeitlich, andererseits ewig
ist, ist auch die Seele einerseits zeitlich, andererseits ewig. Ewig, aber
nicht „unsterblich* [offenbar im Sinne von: „keinem Wechsel
unterworfen" — Eed.]. Wenn es möglich wäre, die Ewigkeit durch
die Zeit auszudrücken, so würde ebensogut Präexistenz als
Postexistenz folgen (V, 23. Schol.) Aber sie ist ewig, sofern
sie ein Theil des ewigen, göttlichen Denkens ist, das gar keine Beziehung
zur Zeit hat. Das ist die Correctur, die Spinoza einführt,
und die, wie oben bemerkt, erst durch das letzte Oapitel des Trac-
tates vorbereitet war." Und S. 134: „Aber ein Eest jener platoni-
sirenden Mystik widerstand der Auflösung unseres ganzen Seins und
Wesens in den materiellen Mechanismus der Bewegungen, die unsern
Körper bilden, und in den logischen Mechanismus der Begriffe." —
Bekannt ist auch der klassisch schöne Ausspruch Spinoza^ selbst
aus seiner Ethik (V, 23 Erläuterungen): „Die Menschenseele kann
nicht mit dem Körper ganz zu Grunde gehen; es bleibt etwas von
ihr, was unsterblich ist. Wir fühlen und erfahren, dass wir
ewig sind." — Red.
♦
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1904/0034