http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1904/0044
36 Psychische Studien. XXXI. Jahr*. 1. Helt. (Januar 1904.)
zu!'halten, bei du Pref% Erklärungen des Doppelgängers,
dieser Doppelgänger, bezw. Astralleib alle Kräfte und Gaben
seiner Psyche jederzeit auf ein Mal besitzen und bethätigen
müsse? Giebt es, um dies vorauszuschicken, überhaupt
ein Einzelnwesen, das in jedem Augenblicke sein ganzes
Sein mit sämmtlichen Eigenschaften darstellt? Unser Unter-
bewusstsein macht unser ganzes seelisch-geistiges Sein mit
vollem bisherigen ßesitzesbestande aus; das jeweilige Be-
wusstsein beleuchtet und verwendet davon nur einen verschwindend
kleinen Theil, aber immer unter Geheiss und
Leitung jenes unterbewussten vollen Seelenlebens, welches
unser wahres Sem ist und auch dem Bewusstsein jedes
Lebensaugenblickes die Fackel erst entzündet.*) Und weiter:
Wir kennen die Schlafzustände, Betäubungen, Ohnmächten,
Benommenheiten in der Krankheit, ferner auch Geistesstörungen
und Blödsinnserscheinungen, bei denen allen
von unserem wahren Sein der beste Theil und oft so gut
wie alles vernichtet scheint. So wie Schnellen den Monismus
auffasst, müsste das Fehlende überhaupt nicht vorhanden
sein, doch tritt es zu andern Zeiten wieder hervor. Es
besteht verhüllt Vieles und oft alles von unserem Wesen,
ohne dass es zur Bethätigung und Wahrnehmung gelangt.
Man könnte dieses Entschwinden von Geisteskräften mit
dem Gleichnisse gefrorenen Wassers verdeutlichen, in
dem die Bewegungskraft stets latent erhalten bleibt, aber
vorderhand aufgehoben ist und sofort wieder unter anderen
Bedingungen erwacht. Und wird also, frage ich, der trans-
scendentale Monismus dadurch aufgehoben, dass beim Doppelgänger
nur beschränkte und irrationale, auch nur einseitige
Kräfte, wie das Organisiren ohne entwickelteres Denken,
meist zum Vorschein kommen? Sogar in der jenseitigen
Welt würden die Verstorbenen unmöglich ihr ganzes Wesen
in jedem Daseinsaugenblicke leben können, selbst wenn
wir annehmen, dass bei verändertem Zeitmaasse ihr bewusster
Selbstbesitz weit umfangreicher sein könne. Eine irgendwie
leibliche Beschaffenheit so wie irgendwelche Maasse von*
Raum und Zeit sind, wie ich des Oefteren auseinandersetzte,
für jedes Einzelnwesen, das sich von anderen Wesen und
einer Aussenwelt unterscheidet, unentbehrlich.
Du Prel hat also unbestreitbares Recht, grössere oder
geringere Entfaltung der Kräfte bei den Doppelgängern
festzustellen, ohne dass seiner monistischen Seelenlehre dies
den kleinsten Abbruch thut. Er meint übrigens auch gar-
*) Vergl. meine Ausführungen darüber in „Uebersinnl. Welt*
1902, Aprilheft S. 132.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1904/0044