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54 Psychische ötudiea. XXXL Jahrg. 1. Hefe. (Januar 19C4.)
d) Transszendentale Kunst in der Reichshauptstadt
. Unter Kennern erregen schon seit einiger Zeit die
medianimen Zeichnungen und Malereien eines jetzt in
Steglitz bei Berlin (Arndtstrasse 35) wohnhaften gewissen Aug.
Machner verdientes Aufsehen, indem es sich um einen einfachen
Mann aus dem Volke „ohne Talent und Unterricht"
handelt, der sich selbst als das Werkzeug übersinnlicher
Inspirationen betrachtet und so mit einem Schlag zum bedeutenden
Maler wurde. Nach einem vom Herrn Verf.,
Hans Freimark in Zollikon-Zürich, uns gütigst eingesandten,
mit 6 Probebildern geheimnissvoller Pflanzen und Landschaften
geschmückten Artikel der spiritualistischen Mailänder
Monatsrevue „Luce e Ombra" (Nr. 12 vom 1, Dez.
4903, p. 561 ff) war dieser 1866 zu Jever in Ostfriesland
geborene, ursprünglich zum Gerber bestimmte Künstler eine
Zeitlang Seemann, musste aber diesen Beruf wegen eii*er
„Insubordination" aufgeben, die auf seine merkwürdige
Gabe, an zwei Orten zugleich zu erscheinen, zurückgeführt
wird. Zur Gerberei zuiiickgekehrt, lernte er vor etwa
4 Jahren den Spiritismus kennen. Gleich in der zweiten
Sitzung verfiel tr in Trance und hielt eine lange Rede zur
Vertheidigung desselben. Bald begann er auch die ihm
erscheinenden „Geister" im Trancezustand zu zeichnen; in
einer späteren Sitzung manifestirte sich ihm unter dem
Geisternamen „Botho" kein Geringerer als Michelangelo und
erzählte seine — dem inspirirten Medium angeblich völlig
unbekannte — Lebensgeschichte. Eben dieser „Führer"
Botho lehrte den in der Malerei gänzlich Unerfahrenen
dann auch in Oel und Aquarell malen, wobei er ihm einmal
, da seiner Farbenschachtel das Grün fehlte, Gelb mit
Himmelblau zu mischen suggerirte. Machner beginnt regelmässig
im linken oberen Winkel des Blatts oder der Leinwand
ohne vorher skizzirten Plan; er versichert, das ihm eingegebene
Bild schon hingezeichnet zu sehen, so dass er es
nur zu koloriren brauche. So malt er mit Vorliebe wunderbar
schöne Blumen, die dem Mars, Saturn und anderen Planeten
unseres Sonnensystems angehören sollen und die von
der Gattin des Dr. med. Wajdiisch(- Budapest) im Trance
und bei völliger Dunkelheit in kürzester Zeit vermöge einer
ganz eigenthümlichen neuen Technik mit farbigem Stift
punktirten angeblichen Marsgeschöpfe in Erinnerung bringen.
Der geschätzte Berliner Kunstkritiker Ludwig Pietseh bezeichnete
schon am 2. Nov. 1901 in der „Vossischen Zeitung
" die erstaunliche künstlerische Fähigkeit dieses Nicht-
fachnianns als ein seiner Lösung noch harrendes psychologisches
Problem, zumal Machner nie ein Museum*
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