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112 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1904.)
tionirt und daher der Kranke, selbst, wenn er richtig denkt,
dennoch nur falsche Ideenassoziationen zu Tage fördern
kann. Zweitens eine Beeinflussung vermöge passiver
Medialität, auf die ich später noch ausführlich eingehen
werde. In diesem Zustande sprechen aus dem Kranken
fremde Wesen in unverständlichem Lauten, ihn als
Sprachrohr benutzend.
Und erst in dritter Linie, wohl sehr selten, dürfen wir
das unverständliche Reden als eine originelle Aeusserung
aktiver Medialität betrachten. Nämlich als das Reden
des Genius in der Sprache höherer Sphären, deren Begriffe
und Gedanken, deren Laute und Worte dem normal-irdischen
Sinne und Ohre unbegreiflich sind.
Würde ein Bauer in ein Kolleg über Metaphysik geführt
, wo die höchsten Probleme der Philosophie in meist
fach wissenschaftlich - philosophischen Ausdrücken behandelt
werden, von denen nur ein winziger Bruchtheil dem Wortschatz
des Bauern angehört: würde der Bauer den Professor
da nicht gleichfalls für irrsinnig erklären? In unserem
Falle ist der Genius der Professor und wir sind die Bauern.
Ebensowenig daher, wie dort der Professor irrsinnig war
(trotz dem Gutachten des Bauern!), ebensowenig ist's hier
der Genius, wenngleich wir Zwergenvolk ihn nicht mehr
verstehen können.
Noch einen Schritt weiter, und wir stehen vor dem
Mysterium derjenigen Erscheinungen, welche die materialistische
Psychiatrie als verrückte" im speziellsten Sinne
des Wortes zu bezeichnen geruht: vor den Visionen, dem
Hellsehen, Hellhören und Reden mit unsichtbaren
Wesen.
Dass Goethe hellsehend war, dürfte allbekannt sein.
In seiner Autobiographie schildert er als Thatsache, wie er
bei seinem Abschied von Sesenheim seinen Doppelgänger
sich entgegenreiten sah in der Tracht, in welcher er fünf Jahre
später dort thatsächlich wieder einritt. In Weimar sah
Goethe einst den Doppelgänger eines Freundes, der, nach
langem Eernsein völlig unerwartet zurückgekehrt, ihn zu
überraschen gedachte, schon auf der Strasse ihm entgegenkommen
. Auf dem Schlachtfelde bei Jena erblickte Goethe
die bekannte gespenstige Schild wache, welche erst vor des
Altmeisters erregtem Pistolenschuss den Platz räumte und
spurlos verschwand.
Der Philosoph Hobbes konnte, wie bereits erwähnt,
obwohl (oder soll ich sagen: weil) er Materialist war, nicht
in der Dunkelheit verweilen, ohne dass er Gestalten von
Verstorbenen erblickte.
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