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120 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 2. Heft. (Föbruar 1904.)
Entwickelung, ebenso wenig nervöse Zufälle; auch war an
ihm zunächst nicht die geringste Erregtheit wahrzunehmen.
Um vor Betrug, der allerdings bei dieser Person wenig zu
befürchten schien, möglichst sicher zu sein, setzte sich der
Arzt vorerst neben die Dame und bat sie um einige Erklärungen
. Sie vermochte weder die Zeit, noch den Umstand
anzugeben, wann und wie sie die wunderbare Fähigkeit
, die sie bald beweisen wollte, an sich entdeckt hatte,
doch hat sie sich vermuthlich durch Uebung noch vervollkommnet
*
Die Eigenschaft besteht in einem gewissen Gefühl
für Farben, die sie durch blosse Berührung zu
unterscheiden vermag. Die Augen werden mit einem schwarzen
Tuch bedeckt, und dann muss irgend Jemand während
der Dauer des Experiments ihren Puls halten. Der Arzt
ging auf diese Bedingungen um so lieber ein, als sie ihm
Gelegenheit boten, das junge Mädchen während des Versuches
genau zu beobachten und an dem Puls festzustellen
, ob sich eine Beeinflussung des Blutkreislaufes
zeigen würde* — Auf die Frage, was sie während des Experiments
zu empfinden pflegte, sagte die Dame, dass sie
weder einen besonderen Druck, noch irgend etwas Anormales
verspürte. Nach einigen Minuten des Wartens sähe sie vor
ihren Augen etwas wie einen Gazeschleier vorübergehen
und alsdann wüsste sie, dass ihr Farbengefühl erwacht wäre.
Wenn sie dann irgend eine Farbe mit den Fingerspitzen
berührte und leicht rieb, so erschienen die Farben vor ihren
Augen und blieben während der ganzen Dauer der Berührung
bestehen. Für die Versuche hatte sich Dr. Duges einen
ziemlich langen Papierstreifen mit rothen, blauen, gelben
grünen und orangenen Farben bemalen lassen, dazwischen
waren einige Felder weiss geblieben. Ausserdem standen
noch verschiedene einzelne Papiere zur Verfügung, die nur
mit je einer Farbe bemalt waren und noch ein weiteres
mit drei Farben nebeneinander. Das Mädchen brachte,
nachdem ihm die Augen verbunden waren, die Spitzen der
Finger an das gefärbte Band, das der anwesende Arzt selbst
zu betrachten vermied, um nicht etwa einer Gedankenübertragung
Raum zu geben. Die Dame erkannte sofort
und zu mehreren Malen, ohne sich zu täuschen, und trotz
des Wechsels in der Lage des Papiers, die Farben Eoth,
Blau und Gelb; das Grüne wurde für Blau, Orange nach
einigem Zögern für Roth bezeichnet, die weissen Stellen
sogleich als solche erkannt. Dann wurde eine runde Pappe
von acht Centimeter Umfang vorgelegt, die zu gleichen
Theilen roth, blau und gelb bemalt war. Die Dame be-
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