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»Kurze Notizen. 125
Wahrträumen. Agrippa von Nettesheim (nach Kiesewetler)
sagt: „Es wohnt unserer Seele ein das All umfassender
Scharfblick inne, der — durch die Finsternis des Körpers
und der Sterblichkeit verdunkelt — nur gehemmt ist, aber
einst, wenn die vom Körper befreite Seele die Unsterblichkeit
erlangt hat, zur vollkommenen Erkenntniss gelangt"
Schon Hippokrates sagt, dass die beste Arznei die der
Träume sei, aber die heutige Welt, versunken in Materialismus
und Atheismus, kann nicht glauben, dass ein Laie
auf ärztlichem Gebiet im somnambulen oder mitunter
natürlichen Schlaf mehr von Diagnose und Therapie verstehen
sollte, als ein Mediziner, wenn er wach ist. Gregor
Samarow legt anter fremdem Willen seinem Salantias folgende
Worte in den Mund: „Die Menschen sind alle jenem
Thomas gleich: Sie wollen nicht glauben, wenn sie nicht sehen
und fühlen, und jene Gesellschaft, welche sich unter dem
Namen der Wissenschaft zusammenthut und so stolz auf
die Naturgesetze pocht, geht noch weiter, sie glaubt nicht
einmal das, was sie sieht, weil sie es nicht erklären kann
mit dem Verstände, der doch noch nicht den tausendsten
Theil aller Kräfte hat erkennen lassen, deren Wirkungen
uns umgeben und in uns selbst thätig sind." — Der gesunde
Menschenverstand ist bekanntlich keine konstante
Grösse, sondern wechselt in Zeit und Raum; er ist der
Niederschlag derjenigen Erkenntnisse, welche in der Vergangenheit
angesammelt und allmählich zur Denkgewohnheit
geworden sind.
Liitteraturtoericlit.
A. Bücherbesprechungen.
Hans Kordon, „Ist Prof. Dr Max Dessoir sachverständig?* Eine
kritische Betrachtung. Lorch, 1904. {Karl Rohm's Verlag. —
32 Druckseiten in 8°.)
In überzeugender Art und mit genauer Kenntniss der Strömungen
und Eichtungen des Zeitalters legt der Verfasser das schlechte und
verhängnissvolle des augenblicklich herrschenden Materialismus für
Wissenschaft und Leben dar, bekämpft den sogenannten ethischen
Materialismus ganz besonders und zeigt das höchst Bedenkliche
der Berufung unkundiger Experten zu Gericht in Prozessen, welche
für Leben, Ehre und Fortkommen von Persönlichkeiten, wie ausserdem
für Wissenschaft und philosophische Erkenntniss grosse Bedeutung
erlangen. Das von unkundigen Sachverständigen zumeist
angerichtete schwere Unheil ist in den wenigsten Fällen wieder gut
zu machen; aus diesem Grunde wird bei Auswahl von wissenschaftlichen
Zeugen die grösste Vorsicht geboten sein. Solches geht aus
Kordon'* Schrift besonders deutlich hervor, und deshalb auch sei
dieselbe zu allgemeiner Beherzigung empfohlen. Allein diese Arbeit
wird auch wegen eines anderen Umstandes mit grosser Aufmerksamkeit
zu lesen sein, nämlich weil sie auf die okkulten Wissenschaften
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