http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1904/0165
v. Seeland: Die Logik der materialistischen Lehre etc. 157
überiidischer Glanz innewohnt, der den Aposteln und den
Jüngern der Verneinung fremd zu sein pflegt.
Thatsächlich sehen wir, dass die gesellschaftliche Gruppe
der Verneiner überall nicht blos praktisch, sondern sogar
theoretisch einer Moral dient, die nichts weniger als ein
„Höheres* im Vergleich mit dem, was wir sonst als Bestes
kannten, vorstellt. Allerdings giebt es und hat es einzelne
Beispiele gegeben, wo gewisse, von Verneinungstheorien angesteckte
Menschen kraft eines fröhlichen Temperaments
und eines grossen und angeborenen Vorraths von Menschenliebe
und Milde, wenigstens eine unmittelbare anziehende
Wirkung auf ihre Umgebung ausübten. So soll Holbach
gewirkt haben; so war Karl Fogt's Auftreten, dank seinem
auch körperlich urkräftigen, fröhlichen Naturell, ein anregendes
, während Büchner schon nach seinem Gesichtsausdruck
keinen vertrauenerweckenden Eindruck machte. Im grossen
Ganzen aber verräth sich die zersetzende Wirkung der
JPreigeisterei unverkennbar nicht nur im Aeusseren*), sondern
in dem ganzen sittlichen Können und selbst in gewissen
rein theoretischen Folgerungen der Verneiner.
Zunächst bedenke man, dass sich gerade auf dieser
Seite jene abstossenden Beispiele prinzipiell egoistischer,
raub thierartiger, wahnwitziger, überhaupt rückläufiger, moralischer
Theorien einstellten, wie wir sie bei einem 8lirner
oder einem Nielzsche finden.
Ferner ist nicht zu verkennen, dass sich gewisse unliebsame
, moralische Züge überall da kundgeben, wo freigeisternde
Menschen in grösserer Anzahl auftreten. Es ist
der sich einbürgernde Hang zu boshafter Feindseligkeit
und zu schroffer Unduldsamkeit, der hier häufig beobachtet
*) So zeigen selbst die Führer dieser Gedankenrichtung fast
durchweg in ihren Gesichtszügen nichts von jenem hehren, auf
andere wohlthuend wirkenden Frieden, der den glaubensstarken
wahrhaften Idealisten auszeichnet. Sie können Intelligenz und Ernst,
— so Moleschott, Dühring, Büchner—, vielleicht Charakteifestigkeit, Gut-
müthigkeit (Ludwig Feuerbach) mitunter auch frischen Lebensmuth
(Karl Vogt, Wickel) verrathen, aber, das ist meist auch Alles: jenes tiefe
und wohlthuende Feuer, welches dem höchsten Ideal entquillt, fehlt
fast durchaus. Damit soll selbstverständlich nicht gesagt werden,
dass man jeden Idealisten an seinem Gesichtsausdruck oder Portrait
sofort als solchen von eioem Materialisten unterscheiden könnte;
es handelt sich blos darum, dass die höchsten Stufen einer Ver-
feistiguog des menschlichen Antlitzes im Allgemeinen nicht auf
ieser, sondern eher auf jener Seite beobachtet werden, was also, zugleich
mit der Eeinheit der Sittenlehre und den unzähligen sittlichne
Grossthaten wahrhaft religiös gesinnter Menschen, dafür zeugt, dass
die Ausscheidung transszendenter Ideale dem ethischen Gebiet keinen
Zuwachs, sondern umgekehrt einen grossen Schaden bringen würde
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1904/0165