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164 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 3. Heft. (März 1904.)
Ein Gott ist, ein ewiger Wille lebt,
Wie auch der menschliche schwanke;
Hoch über der Zeit und dem Räume schwebt
Lebendig der höchste Gedanke. (Schiller.)
Für das Absolute kann es nur überzeitlichen Allwillen,
keine Wahl, keinen Beschluss, keine Handlung im Zeitenwandel
geben; sonst ist der Begriff des Absoluten geopfert,
ist dem so und gehört unser Bewusstsein und ewige
Zweckmässigkeit zum Absolutenf dann frage man sich, ob
man als dessen Sinnbild die Nacht brauchen dürfe oder
den Tag, ob man zu einem allunbewussten Absoluten
oder zu dem allbewussten Absoluten, für welches das
Unbewu8ste in der Natur bloss ein durch seine Satzung für
die raum-zeitlichen Zustände des Einzelnen und für das bedingte
Erdenleben der Einzelnwesen Eingeschränktes ist, sich
bekennen werde. Ungeachtet unseres Bewusstseins die all-
unbewusste Weltsubstanz nach ff artmann — oder ungeachtet
der für unser Wahrnehmen unbewussten Natur die
allbewusste Weltsubstanz, — was von ßeidem ist phantastischer
, was glaubhafter? Die Anklammerung an bloss
zeitlich-menschliche Anschauungsweisen ist bei solcher Entscheidung
unstatthaft; Hartmann lehnt sie ab und kommt
doch von ihnen nicht los. So sind auch die Gründe, die
Hartmann gegen das Allbewusstsein des Absoluten aufbringt,
ganz der zeitlichen Anschauung entnommen. Er lässt Gott
seine Welt in der Zeit schaffen, anstatt dass man ohne sie
ihn sich unmöglich denken kann, woher denn sein Selbstbewußtsein
mit seinem Weltbewusstsein unstreitig Eines
ist. Das organisirende Prinzip geht, wie vorher erwähnt,
beim Einzelnwesen dem Organismus vorher; aber auch beim
Absoluten? Unmöglich! Hier stossen wir wieder auf das
nothwendig Unbegreifliche! Es muss dieses auch unsere
Präexistenz vor jeder Leiblichkeit decken, bei der zuletzt
unser Denken Halt macht. Nehmen wir diese nur als
latente Idee in der Gottheit an, so dass sie schon all unser
einstiges Sein in sich birgt, wird das genügen. Es ist dies
Ünbegreifbare stillender für unser Denken, als die rastlosen
ßei'nkarnationen nach der theosophischen Lehre, die damit
eine gerechte Deutung für die unendlichen Verschiedenheiten
unserer Eigenschaften und Schicksale sucht, ohne
damit das Gewollte zu leisten; denn schliesslich begründet
man eine Verschiedenheit aus der andern in endlosen Präexistenzen
und kommt doch zuletzt immer bei ursprünglichen
Verschiedenheiten an, als die wir zuerst einmal
aus dem gemeinsamen Allschoosse uns lösten und
welche die lange Kette späterer Verschiedenheiten erklären
müssen! Was begründet nun diese allerersten Verschieden-
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