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166 Psychische Studien, XXXI. Jahrg.; 3. Heft. (März 1904.)
individualistische; denn jede nur von aussen uns zugetragene
und nicht zuletzt in uns gegründete Ethik verdient diesen
Namen nicht. Ohne unser eigenstes innerstes ßewusstsein
als Wurzel ist jede Ethik ein Widerspruch in sich»
Steht irgend eine Wahrheit fest, so ist es diese und wir
rufen alle Gelehrten, die anders denken, auf, sie zu entkräften
. —
Fürwahr, es thut noth, auch der Philosophie des Be-
wussten, ohne dabei in die fehlerhafte Verwechselung des
menschlichen Tagesbewusstseins mit der Seele zu verfallen,
bald mit allem Nachdruck zum Rechte zu verhelfen. Dann
soll man zeigen, wie das Sehnen alles noch an den
Schlummer der dunklen Nacht gebundenen Lebens, so
weit sein Plug es trägt, zum Lichte drängt und in ihm
die Bewegung erlangt, um anderem zu nützen oder zu
schaden. Wie im »Stirb und WerdeÄ an der Grenze des
Lebens und Todes jedes Wesen verjüngtes Bewusstsein erstrebt
, erkenne man; das Licht, in dem zum Zeichen dessen
zuletzt noch so gern das Bewusstsein aufflackert, ist es
Flamme des Todes oder des Lebens? Man bedenke, wie
im Jubel der Freude, in der Schmerzensklage mit Macht
der ßewusstseinsgehalt der Wesen sich sammelt und welche
Spuren diese unvergesslich festgehaltenen Augenblicke und
Stunden für Innenleben und Selbstbesitz zurücklassen!
Unser Erinnerungsschatz birgt nicht lauter Kleinodien;
manches speichert sich je nach dem Beistande von Ge-
dankenassociationen und der Hilfe unserer physischen Verfassung
darin auf, was an sieh werthlos scheint, doch zur
Eückversetzung in vergangene Zeiten bisweilen uns lieb
wird, und anderes, was zu behalten uns wichtig war, entfällt
uns. Was aber unser Innerstes einmal wirklich stark
berührte, das hegt für immer das Bewusstsein. Brachte
man, wie in Blick und Antlitz, obschon das Sehen hinter
dem unbewussten Tiefen aufhorchenden Gehörssinne an
Geistigkeit zurückbleibt, alle Eindrücke und Gefühle des
Seelenlebens sich merkbarlich abspiegeln, weil aus dem lichtgeöffneten
Sinne der Glanz unseres Bewusstseins wiederstrahlt
. Und giebt es Sittlichkeit ohne Gesinnung und
echte Gesinnung ohne das helle Bewusstsein, das Gewissen
heisst? Da ist als etwas bloss Transit orisches, als Mittel
zum Zweck das Bewusstsein ungenügend; das stille,
schlichte Glück an seinem reinen Glänze ist uns höchster
Selbstzweck. Wenn wir im geheimen tiefen Gemüthe immer
bewusster uns selbst zu besitzen gewöhnen, das ist mehr,
als das durch äussere Erschütterungen und Stösse geweckte
Bewusstsein, so viel auch dieses bedeutet. Und wie vieles
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