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Litteraturbericht,
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nach Sprache und Empfindung recht anziehend, und da sie nach
Absicht und Stimmung verschiedenartig sind, so ist es ganz willkommen
, dass sie unter Ueherschriften wie: Seltsames, Volkslied-
massiges, Zierliches, Sinnbilder, von der Liebe, vom Glauben, u. s. w.
nach innerer Verwandtschaft geordnet sind. Ihrer äusseren und
inneren Verschiedenheit entsprechend, tragen sie auch verschiedene
Verfagsernamen; die meisten sind mit dem Vornamen Otto*) unterzeichnet
, eine ziemliche Anzahl mit A A, J., mit Jola?ide9 einige
andere mit anderen, etwas fremdartigen Namen. Danach wäre ihnen
also kein einheitlicher Ursprung zuzuschreiben. Die Vorrede lehrt,
dass die auf dem Titel genannte Dame, obwohl selbst poetisch beanlagt
, sich in der That nicht als die eigentliche oder unmittelbare
Verfasserin ansieht. Die Gedichte sind, wie auch eben diese Vorrede
, automatisch niedergeschrieben, also unbewusst; und Frau
Schmidt erklärt, deutlich zwischen bewusster und unbewusster Produktion
unterscheiden zu können. So habe sie neuerdings Gedichte
niedergeschrieben (nicht in der vorliegenden Sammlung enthalten),
als deren Verfasser sich Karl v. Holtei bezeichne, dessen Person und
Schriften ihr gar nicht näher bekannt gewesen. Diese Gedichte sind
in schlesischer Mundart und manchmal etwas derb im Ausdrucke (die
im „Evoe" sind es nie) — beides würde Roltci'% Verfasserschaft nicht
widersprechen. — Die Sammlung hat also, von ihrem poetischen
Werthe abgesehen, das psychologische Interesse einer Entstehung,
wie sie nachgerade schon eine Reihe poetischer und prosaischer
Schriften für sich in Anspruch nehmen, und wie sie nicht leicht zu
erklären ist. Denn mit der Voraussetzung einer Spaltung des Ich
oder mehrfacher Persönlichkeit ist doch im Grunde die Schwierigkeit
nicht gehoben. So schwer man sich auch dazu entschliessen
mag, am Ende wird man zugeben müssen, dass das zeitweilige Zurücktreten
der eigenen Persönlichkeit und die Einwirkung „fremder
Intelligenzen41 — also warum nicht geradezu der Geister von Verstorbenen
? — eine zwar auffällige, aber verhältnissmässig einfache
Erklärung bietet. Wernekke.
Pietro Raveggi. L'ldealitä spirituale in Dante, Milton, Klopstock, Goethe,
Mickiervkz. Firenze, Osw. Paggi. 1908. (100 S. gr. 8°.) —
In diesem durch die Schönheit der Sprache, die Vertrautheit
mit dem Gegenstände und die Begeisterung für den ihn kennzeichnenden
Idealismus gleich anziehenden Buche sind drei Gruppen von
Vorträgen zusammengestellt, die der Verf. in Mailand gehalten hat:
I. Adam Mickiervkz, der polnische Dante; II. Die Dichter himmlischer
Visionen: Dante* Mi/ton, Klopstock: III. Die Unsterblichkeit
des Geistes bei Goethe. Mit gutem Recht hat er ihnen den zusammenfassenden
Titel gegeben, der den Gesichtspunkt bezeichnet, aus dem
er die grossen Dichtungen jener Genien betrachtet. Wie die geistige
Seite des Weltlebens, die Beziehung zwischen Natur und Geist, der
Weltgeist und die Geisterwelt sich in Dante?% Oommedia, insbesondere
dem zuweilen unterschätzten Paradiso, in Milton's biblischem
Epos, in Klopstock1» Messias, in Goelhe'% Faust, in Mickiewicz' Pziady
und Sonetten aus der Krim mit tiefreligiöser Empfindung und
poetischem Schwünge dargestellt sind, wird liebevoll hervorgehoben
und durch reichliche Anführungen in verständnissvoller Ueber-
setzung**) erläutert.______ _ Wernekke.
*) „Otto Dalberg" nannte sich auch der Kontrollgeist der Verfasserin
von „Klängen aus einem Jenseits", der Frau Prof. Blulhgen, welche mit
Frau M. Schmidt befreundet ist.
) Auffällig ist die bei der Erwähnung des russischen Dichters Rylejev
gebrauchte Bezeichnung „decemvirista." Die „Dekabristen" oder Dezembermänner
von 1825 haben doch nichts mit den Decemvirn zu thun!
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