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216 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 4. Heft. (April 1904.)
soll." So ging es von einer Krisis zur anderen und von
einem ärztlichen Fehlgriffe zum anderen, wie mir später
auch andere Aerzte bestätigt haben. Ich brauche sie hier
nicht näher zu erörtern, zumal mein Arzt ein guter und
liebenswürdiger Mensch war. Jedenfalls war ich am 25. Mai
soweit, dass das Sterberöcheln nachts plötzlich anfing. Ich
erkannte das Geräusch gleich, hatte ich doch am Tage
meiner Erkrankung das Röcheln meiner Nachbarin gehört.
Ich lag auf der Uouchette, die vor mein Bttt gerückt war
und auf die mich einige Stunden vorher eine innere Unruhe
getrieben hatte. Meine treue Magd, deren willigem Gehorsam
ich nächst Gott mein Leben danke, lag auf dem Stubenteppich
auf einigen Kissen hinter meinem Lager. Die Magd
sprang entsetzt auf und ich schickte sie zum Arzt hinauf,
nicht meinetwegen — denn ich wusste, ich würde nicht
sterben, sonst hätte ja jene Schrift nicht über der Thür
gestanden —, sondern in der Hoffnung, der Arzt würde der
Magd etwas Nervenberuhigendes geben, denn sie hatte nun
12 Tage lang, mit kurzen Pausen Tag und Nacht gewacht,
mich gepflegt, das Haus und mein Kind besorgt. Eine
Krankenpflegerin war von meinen Freunden nicht aufzutreiben
gewesen, da alle beschäftigt waren; die zweite Magd
hatte den Dienst bei mir eben gerade verlassen und noch
keine Nachfolgerin bekommen. Ich lag sehr niedrig mit
meinem Kopf, mein Körper war bis zu den Hüften eiskalt,
das Röcheln währte fort und fort, ohne dass ich es hindern
konnte; ich war zu schwach, mich zu rühren, fühlte aber
keine Angst und kein Grauen. Da plötzlich höre ich eine
ruhige Männerstimme links neben meinem Kopf sagen, als
spräche sie zu einer andern, mir gleichfalls unsichtbaren
Person, oder im Selbstgespräch: „Jetzt ist genug gegiftet
"; und gleichzeitig fassen von hinten, rechts und
links, ein paar Hände unter meine Achseln, so dass ich den
Druck deutlich in den Achselhöhlen spürte (Halluzination
der Achseln?), und ziehen mit einem sanften Ruck
mich kunstgerecht in die Höhe, so dass ich in halbsitzende
Stellung komme, die für meinen Zustand jedenfalls angemessener
war, als die tiefe Kopflage. Dann sagt die
Stimme — aber leiser: „Wenn er jetzt kommt, thue nicht,
was er sagen wird, es wäre dein sicherer Tod," sodann nach
einer Pause ruhig, wie belehrend: „Was du jetzt durchmachst
, ist das, was man Sterben nennt; du wirst aber
hindurchgehen und leben." Darauf ich: „Muss ich
denn also das alles nochmals durchmachen ?u Die Stimme
rnhig: „Du wirst den Tod nie schmecken," — Jetzt kam
der Arzt und ich wehrte mich entschieden gegen die Kampher-
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