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Freimark: Was uns noth thut.
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Dass die Verwirklichung der angedeuteten Vorsehläge
keineswegs zu den Utopien gehört, lehrt uns ein Blick auf
Italien. Welche Fortschritte hat dieses Land in den letzten
Jahrzehnten auf dem fraglichen Gebiet gegenüber Deutschland
gemacht, das, mit Ausnahme eines kurzen Aufschwunges,
dort stehen geblieben ist, wo es schon zur Zeit Kerner"%
stand. Viele, besonders Spiritisten, erwarten jetzt von
Italien geradezu den Anstoss zu einer neuen spiritualistischen
Bewegung. Mir will es scheinen, als wäre ein Aufraffen
aus eigener Kraft rühmlicher. Bedürfen wir denn stets
der fremden Propheten?
In Italien besteht, wenn auch nicht formell, doch dem
herrschenden Geiate nach, schon längst ein Bund sämmt-
licher spiritistischen Vereinigungen, denen es nicht einfällt,
sich, wie dies leider bei uns üblich ist, um Nichtigkeiten
zu befehden. Die Organisation der einzelnen Gesellschaften
erregt, wenn man an die deutschen Zustände, mit wenigen
rühmlichen Ausnahmen, gewöhnt ist, geradezu Staunen.
Mit Nachfolgendem möchte ich, gleichsam als ein
ideales Spiegelbild sowohl für die Propaganda, als auch für
die wissenschaftliche Forschung kurz die vortrefflichen Einrichtungen
der Mailänder „Gesellschaft für psychische
Studien", wie ich sie bei einem Besuch dort aus eigener
Anschauung kennen lernte, des Näheren schildern. Aehn-
lich wie in Mailand fand ich es auch in einer privaten Vereinigung
in Genua, und so ist es auch in Rom und Florenz.
Die Mailänder Gesellschaft, die als Organ ihrer Bestrebungen
die elegant ausgestattete und von A. Marzorati
vorzüglich redigirte Zeitschrift „Luee e Ombra" herausgiebt,
beschäftigt sich vornehmlich mit der unter den strengsten
Kriterien erfolgenden experimentellen Erforschung der
fraglichen Phänomene des Somnambulismus, Hypnotismus,
Mediumismus und Spiritismus. Die angewandten zwingenden
Bedingungen gehen jedoch niemals so weit, die zu
studierenden Erscheinungen, welche durch ihre psychischen
Verknüpfungen ganz speziellen, bis jetzt noch wenig erkannten
Bedingungen unterworfen sind, durch schlecht verstandene
Kontrolimittel und Forschungsmethoden schwierig
oder unmöglich zu machen. Im Gegentheil bemüht man
sich, genau den Erfordernissen der eigenartigen Natur der
Phänomene Rechnung zu tragen und so das Tatsachenmaterial
, auf dem sich die hohe Philosophie des Geistes
aufbaut, zu mehren und zu kräftigen.
Für ihre experimentellen Untersuchungen hat die Gesellschaft
in ihrem eigenen Gebäude ein besonderes, grösseres
Zimmer mit allen erforderlichen Einrichtungen. Physi-
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