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242 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 4. Heft. (April 1904.)
ist. Das Hässliche kommt im Leben wie in der Kunst nur
durch das Vorwalten des Verstandes zuwege, der uns vom
Ursprünglichen, Natürlichen ablenkt. . . .
Auf dem Heimweg versuchte ich mir über das Gesehene
einigermaassen klar zu werden. Ich dachte mir, dass wohl
im Zustande der Hypnose die Fesseln der in jedem Menschen
liegenden schöpferischen Kräfte gelöst sein müssen, und
dass unsere Künstler, z. ß. unsere Schauspieler, bewusster-
maassen und willkürlich die gleiche Lösung dieser Fesseln
vornehmen, die in der hypnotisirten Persönlichkeit unbe-
wusstermaassen und unwillkürlich vor sich geht. Ein
Künstler ist gleichsam der, der sich selbst
zu hypnotisiren vermag. Hat diese Erklärung
nicht mancherlei für sich? Ich bitte den Leser, selber
darüber nachzudenken/4 —
Einem Artikel der „Augsb. Abendz." vom 20,/IL entnehmen
wir noch, dass die Sitzung im Prunksaal eines
vornehmen Hauses in der Briennerstrasse stattfand und dass
die „Traumtänzerintt (wie man sie richtiger nennen
dürfte) vom Impresario der Sarah Bernhardt für die nächste
Spielsaison nach London engagirt ist. Alan könne sie nicht
als hysterisch bezeichnen, doch sei immerhin die Annahme
eines hysterischen Charakters zulässig, wofür ihr psychisches
Verhalten und ihr häufiger Stimmungswechsel spreche.
„Schrenck-Notzing nannte sie in seiner Erklärung „einen
plastischen Reflex-Automaten für Musik". Dabei reagirt
aber Madeleins auch auf verbale Suggestion. Was man da
gestern sah, war Staunenswerth genug, um zu fesseln und zu
verblüffen. Frau Madeleine hatte ihren Pariser Hypnotiseur
31 agnin mitgebracht, der mit ihrem Wesen am besten vertraut
ist. Durch ihn wurde sie, nachdem sie sich auch in
wachem Zustande dem Publikum gezeigt, auf der Bühne
durch Blicke und leichte Streichbewegungen hypnotisirt.
Dann begann Hofkapellmeister Stavenhagen am Klavier zu
phantasiren. In rhythmischen anmutigen Bewegungen folgte
sie den Klängen der Musik, mit einem lebendigen Mienenspiel
von stetem lebhaftesten Wechsel jeden Ton begleitend.
Bald wuchs sie förmlich mit dem Ton, dann wieder bog sie
den schmiegsamen Körper, bald schritt sie priesterlich einher
, um dann wieder zur Erde sich zu neigen; kurz und
gut, ein seltsames Spiel von Bewegungen und Gesichtsausdruck
, von Schweben und Schreiten, — schwer zu beschreiben
. Höite dann die Musik auf, dann stand sie wie
zur Statue versteinert — Katalepsie nennt die Wissenschaft
diese Starre — und mehrere Nervenärzte überzeugten sich
durhe Befühlen der Arme, durch Untersuchung der Augen
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