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244 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 4. Heft (April 1904.)
Tausende einnehmen. Schüchternheit und andere hemmende
Vorstellungen, die der Entwicklung ihres wahrhaft „schlummernden
* Talentes entgegenstehen, müssen eben durch die
Hypnose aufgehoben werden. Für die Kunst sind diese
Darbietungen desshalb von besonderem Werth, weil sie die
Herstellung von Photographien der verschiedensten seelischen
Affekte ermöglichen." —
Mehr skeptisch verhält sich der Korrespondent der
„Frankf. Zeit." (No. 51 vom 20./II.), der aber trotzdem
gleichfalls der Bewunderung für die wunderbaren Leistungen
der Dame voll ist. Er sagt u. a.: „ Madeleine G. ist eine
junge Frau aus kleinbürgerlicher Familie mit leichter hysterischer
Anlage und im Normalzustand für Musik nicht mehr
begabt, als ein mittelmässiger musikalischer Dilettant. Ihr
besonderes Talent wurde von dem Pariser Magnetopathen
M agnin entdeckt, als sie sich Kopfschmerzen von ihm weg-
suggeriren lassen wollte. Er fand, dass sie in der Hypnose
merkwürdig stark auf Musik reagirte. Dr. Flegenheim von
der Sorbonne ging im Verein mit Herrn Magnin dieser
Fähigkeit weiter nach, und es zeigte sich, dass die junge
Frau im somnambulen Zustand musikalische wie poetische
Eindrücke wunderbar deutlich und schön in plastische Geberden
und Bewegungen umsetzte. Nun, was sie gestern
von dieser Fähigkeit zeigte, machte in der That auf alle
Anwesende: Künstler, Schriftsteller, Musiker, Aerzte usw.
einen ausserordentlichen Eindruck. Die mehr skeptischen
Naturen mochten zunächst trotz der erläuternden Ausführungen
des Freiherrn v. Sehr enck-Notzing skeptisch bleiben.
Wie die Hypnotisirte z. B. auf die Töne des Chopin'schen
Trauermarsches reagirte, das musste zunächst stutzig machen.
Ihre Geberden und Stellungen eilten nämlich
, wenn auch nur um den Bruchtheil
einer Minute, oft den Tönen voraus, so dass
man an ein bewusstes, ausserordentliches Darstellungsvermögen
denken konnte, ein Darstellungsvermögen, wie es
allerdings nur grossen Künstlern beschieden ist. Voraussichtlich
lag aber dies den Tönen Vorauseilen der Geberden
daran, dass sie gerade diese Musik schon oft in Plastik umgesetzt
hatte. Als dann jedoch Direktor Stavenhagen, Herr
Schillings und andere Künstler auf dem Flügel phantasirten,
jede Bekanntschaft mit dem Gehörten ausgeschlossen war,
und man auch deutlich sehen konnte, wie jetzt die Umsetzung
der Tonempfindung in Geste und Bewegung den
Tönen folgte, da konnte sich auch der Skeptiker dem künstlerischen
Genuss dieses Phänomens getrost hingeben. Es
lä8st sich mit wenigen Worten nicht wiedergeben, was alles
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