http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1904/0254
Maier: Die „Schlaf tänzerin" Madeleine G. in München. 245
zu sehen war. Wie nahm z. B. das riesige Pathos der
Armbewegungen gefangen, wenn die Musik derlei erheischte!
Und doch blieb dieses Pathos immer schön, ohne jede Verzerrung
. Wie dionysisch fröhlich hüpften alle Gelenke,
wenn die Töne dazu trieben. Und wie auf Töne reagirte
Frau G. auch auf Wortkunst. Es wurde ihr jene Szene
aus fVilde's „Salome" vorgelesen, in der Salome vor dem
abgehauenen Kopf des Johannes hinsinkt und ihm von ihrer
Liebe, ihrem Hass erzählt. Man hatte also hier Gelegenheit
, zwischen bewusster Schauspielkunst und dem Darstellungsvermögen
der Hypnotisirten zu vergleichen, denn
wohl jede-.* der Anwesenden hatte Wilde's „Salome" im
Theater gesehen. Nun, etwas so Grosses, im Grausigen
wie im Lieblichen, dabei immer harmonisch, habe ich noch
bei keiner Schauspielerin gesehen. Und erst das Mienenspiel
! Aus der Tiefe des Unbewussten, woher alles
Grosse kommt, stiegen diese Gesten, Geberden, Bewegungen,
nicht oder kaum noch behindert durch die Hemmungszentren
des gewöhnlichen Wachzustandes. Künstlerischen
Naturen bietet dieses Phänomen jedenfalls eine Fülle von
Belehrung und Bereicherung, vor dem man staunend steht,
ohne es desshalb gleich überschätzen zu müssen." —
Nach einem Bericht der „Köln. Zeit" bezweifeln die
meisten Sachkundigen, die im Privatkreise (so zuletzt beim
österr.-ungar. Gesandten Grafen Zichy) die zur Zeit noch
in München weilende russisch-französische Traumtänzerin
gesehen haben, durchaus nicht die hypnotische Grundlage
dieser eigenartigen Vorführungen; aber auch das Urtheil
der Zweifler läuft darauf hinaus, dass die nach Gesichtsbildung
und Körperformen keineswegs hervorragend schöne
Dame, falls sie bewusst handle, eine Schauspielerin allerersten
Banges sein müsste. Sobald sie von Herrn Magnin
durch wenige Striche mit der Hand hypnotisirt ist, führt
sie alle Bewegungen mit offenen Augen aus, deren Pupille
stark nach oben gerichtet ist und die selbst gegen sehr
starke Lichtreize unempfindlich zu sein scheinen. Gewisse
Bewegungen, wie z. B. das starke Zurückbiegen des mit
dem Rücken einen Bogen bildenden Kopfes werden von den
Aerzten als ausgeprägte Begleiterscheinungen einer hysterischen
Anlage bezeichnet. Manche Vorführungen sind von
solch packender Realistik, dass sie das Nervensystem der
Darstellerin zweiijgllos stark angreifen müssen; sie ist denn
auch nach verschiedenen Erholungspausen jedesmal wieder
auf's neue hypnotisirt worden. Wie sie sich zu musikalischen
Improvisationen stellt, ist weit schwerer zu beurtheilen,
als ihr sehr schnelles und sicheres Reagiren auf ihr schon
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1904/0254