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290 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 5. Heft (Mai 1904.)
es, dass sie es versteht, das Korn in Mehl zu verwandeln ?
Etwa weil sie dazu eingerichtet ist ? Bewahre! Die Flügel
müssen sich drehen, weil ihr Gefüge den Wind auffängt
und von ihm getrieben wird; dass hier nichts Zweckmässiges
vorhanden ist, ersieht man daraus, dass sie dasselbe
Geschäft auch verrichten würden, wenn an der
Maschinerie des Inneren etwas herausgenommen wäre, die
Bewegung der Flügel also unnützerweise fortginge; und
nicht genug damit, sie würden sich auch dann drehen, wenn
eben dank einer unmässig starken Bewegung, also bei Sturmwind
, etwas an dem Mechanismus auseinandergehen könnte,
oder wenn ein Kind, welches die Gefahr nicht kennt, in
den Bereich dei Flügel käme und dabei einen tödtlichen
Stoss empfange. Desgleichen funktioniren die Räder und
die Walzen des Innern nicht, damit sie die Mahlsteine in
Bewegung bringen, sondern weil sie nicht anders können,
da ihre Form auf die und die Bewegung hingeht; die
Steine selbst malen nicht, damit aus Korn Mehl werde,
sondern weil ihr Gewicht, ihr harter Stoff, ihre rundliche
Form, ihr nahes Zusammensein, eben die Arbeit gebieterisch
lordern; und dass hier von keiner Zweckmässigkeit die Rede
sein kann, folgt schon daraus, dass sie das Mahlgeschäft
auch dann vornehmen würden, wenn ihnen anstatt Korn
z. B. kostbare Perlen vorgeworfen würden, die infolge des
Zermalmens ihren ganzen Werth verlören. Kurz alle Erklärungsversuche
, die gegen die Zweckmässigkeit der Natur,
bezw. hinsichtlich der Organismen aufgebracht werden,
könnten mit vollem Recht auch auf Industrismen, d. b. auf
Werke menschlicher Hand angewandt werden. Gleichwohl
wird Niemand im Ernste dabei stehen bleiben und glauben,
dass damit das letzte Wort gesagt und der Maschinen-
teleologie der Hals umgedreht sei.
üeberhaupt bringen uns letztere Betrachtungen auf den
schwierigsten Punki jener antiteleologischen Fronde: man
lässt nämlich, in der Hitze des Streits, das Denken und
Handeln des Menschen selber ausser Acht.
Dass wir selber Zwecke und Ziele kennen, nach ihnen
streben und unser Thun entsprechend einrichten, wird doch
Niemand leugnen wollen; ja die Terminologie und der Bt-
griif des Zweckmässigen haben sich zunächst an dem, was
wir an uns selber bemerken, herangebildet. Sobald aber
im menschlichen Geiste etwas da ist, was vernünftig zweckmässiges
Urtheilen und Handeln zur Folge hat, so genügt
schon dies allein, um den Weltprozess teleologisch aufzufassen
, da wir ja selbst Produkte desselben
sind. Wer sich immer nur bemüht, bei dem Blinden und
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