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v. Seeland: Die Logik der materialistischen Lehre etc. 291
Mechanischen stehen zu bleiben, der müsste, um konsequent
zu verfahren, auch das Vernünftige und zweckmässige
Denken im Lebendigen für blind und mechanisch, also die
Vernunft für Unvernunft erklären. So stossen wir auch
hier auf den Grundfehler der materialistischen Anschauung:
es wird immer nur das Nächste in Angriff genommen; dass
aber Anpassung, Selektion und andere Hilfsmittel der Ent-
wickelung nichts hervorbringen können, wenn nicht schon
die Möglichkeit, die Anlage dazu in den Tiefen
des Weltalls läge, — das entschlüpft ihr durchaus. Man
ist doch berechtigt anzunehmen, dass, wenn die heutigen
Organismen plötzlich vor unseren Augen durch den Machtspruch
eines übermenschlichen Wesens fix und fertig erstanden
wären, auch die materialistische Naturphilosophie
nichts gegen deren Zweck- und Planmässigkeit einzuwenden
hätte. Da sich aber herausteilt, dass sie erst nach
Ablauf ungeheuerer Zeiträume entstanden sind und noch
entstehen, so klammert man sich an die Betrachtung der
Einzelheiten und verliert den Zusammenhang derselben
aus dem Auge.
Zwar wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, dass
die Kunst, und zwar in deren höheren Kundgebungen,
in einem materialistischen Vorstellungskreise streng genommen
keinen Platz mehr findet, doch ist diese That-
sache bis jetzt nicht hoch genug angeschlagen und in ihren
Endergebnissen verfolgt worden. Namentlich wird sie von
den Materialisten selbst geflissentlich ignorirt und umgangen,
und wenn je einer, wie Ilaeckel, darüber etwas verlauten
lässt, so streift auch er che Frage nur oberflächlich in aller
Kürze.
Die Kraft eines Kunstgebildes besteht darin, dass es
in wenigen Zügen eine Menge von Ideen und Gefühlen m
uns wachruft; die Wirkung selbst aber kann, je nach dem
Grundgedanken des Planes, eine zweifache, d. h, eine negative
oder eine positive, sein. Unter erster er verstehe ich
den unangenehmen Eindruck, den das Kunstwerk beabsichtigt
, sei er einfach abstossend, betrübend oder schreckhaft,
grauenerweckend u. s. w., während die positive Wirkung den
gegentheiligen Eindruck hinterlässt. Eine Laokoongruppe
oder eine Erzählung vom Hungertode ügoüno's bei Dante
sind zwar gewaltige Kunstwerke, in denen sich eine ganze
Welt schmerzlicher Gefühle abspielt; aber Schmerzen,
Schrecken, Hass u. dgl. sind nur die Rückseite bezw.
die Schattenseite des Daseins, und die Aufnahme ihrer
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