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Erdmann: Drei Beiträge zu einer allgem. Theorie der „Begriffe". 299
(so ist z. B. das „Ding": „Lampe" psychologisch eine Abhängige
der „Schwankung" eines simultanen Koordinationssystems
, das vorwiegend aus bestimmten Zentren für eine
bestimmte optische Raum-. Licht-, Farben- und Organempfindung
zusammengesetzt ist);
3) die „Begriffe" von bestimmten Ortschaften, z* B. der
„Begriff von der Stadt Leipzig"; ich hatte Gelegenheit
seine Entwicklung in mir zu verfolgen: am Tage meiner
Ankunft bestand er Abends vorwiegend nur aus einigen
[ungefähr 6] bestimmten sich kreuzenden Richtungen,
die ich in Gedanken nachbilden konnte; dabei fühlte ich
mich in der Stadt „beklommen" und „fremd"; mit der Zeit ~
erweiterte sich dieser „Begriff" und umfasste zuletzt „Leipzig",
als ein umgrenztes Ganzes, wobei an Stelle der „Fremdheit**
eine „Bekanntheit" trat (vorwiegend motorische Koordi-
nationssysteme);
4) musikalische Intervalle6) und Akkorde (akustische
Koordinationssysteme);
5) einzelne „Silben"7) des Wortes (motorisch-akustische
Koordinationssysteme);
6) das „Ich" (ein komplizirtes Koordinationssystemt
in dem wohl Zentren für Bewegungen und Organempfindungen,
ö) Ueber das Verhältnis der akustischen Intervalle zum Notenlesen
möchte ich, als Musikverständiger, folgendes nicht Unwesentliches
bemerken: gewöhnlich begnügen sich die Spielenden damit, dass sie
eine bestimmte Note — ein optisches Bild — mit einer bestimmten
Taste des Klaviers oder einer bestimmten Stelle auf dem Griffe des
Streichinstrumentes verbinden können; dies ist also bedingt durch
ein rein motorisches Koordinationssystem, das nur aus jenen zwei
Gliedern besteht (ich setze voraus,* dass jene Personen von der
„absoluten Tonhöhe14 der Note keinen „Begriff* haben, sonst käme
dies als drittes, akustisches Glied des Koordinationssystems noch
hinzu); das akustische Auffassen von geschriebenen „Intervallen44
und „Akkorden* als Einheiten wird aber in den meisten
Fällen gar nicht geübt; und doch kann erst dieses die höchste Befriedigung
dem wahren Musiker gewähren, indem es die Möglichkeit
giebt, ein Notenstück rein akustisch — ohne ein Instrument — zu
lesen; bei solchen Musikern haben sich Koordinationssysteme ausgebildet
, die aus folgenden Gliedern bestehen: das optische geschriebene
Bild eines Intervalles, bez. Akkordes, das akustische
Intervall (bez. Akkord); bei geübten Spielenden kommt noch ein
Glied hinzu: das räumliche — motorische — Intervall auf dem
Instrumente; es giebt ihnen die Möglichkeit, sicher zu spielen, ohne
auf das Instrument zu schauen.
7) Dass die „Silben* wirkliche Einheiten bilden, beweist auch
die Thatsache, dass man einen sinnlosen Buchstabenkomplex beim
Lesen in „Silben*4 zerlegen mass. Vgl. Kroissx Zur Methodik des
Hörunterrichts, 1903, S. 26, 27; Wandt: Völkerpsychologie L 1. S. 532;
vergl. auch die ursprüngliche „Bedeutung" des Wortes „Silbe* (im
Griechischen): „das Zusammengefasste14.
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