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308 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1904.)
Erscheinungen bei der Sehlaftänzerin eingehend diskutirt.
Von den anwesenden Psychologen und Spezialärzten wurde
zunächst einstimmig festgestellt, dass es sich bei ihr um
einen somnambulen resp. hystero-hypnotischen Zustand
handle. Dr. Schnitze gab eine vollständige Uebersicht über
die zweimal von ihm angestellten tonpsychologischen Untersuchungen
, die direkt für eine automatische Reaktion nicht
nur auf Töne, sondern auch auf Worte sprechen. Lebhafte
Erörterung fand auch die von Dr. Hirth und Dr. Seif aufgeworfene
Frage der Schädlichkeit solcher Demonstrationen
einerseits für die Versuchspersonen, andererseits für das
Publikum. Ihnen erwiderten Dr. Rehm, Dr. v. Schrenck-
Notzing und Herr v. Schewitsch. Diese Herren gaben zwar
auch die Möglichkeit zu, dass derartige, namentlich unvorsichtig
angestellte Versuche einen Schaden für das Nervensystem
in sich schliessen und leicht vom Publikum zu Salonspielereien
und Nachahmungen benützt werden. Andererseits
stehe aber der verhättnissmässig geringe und bis jetzt durchaus
nicht hinreichend nachgewiesene Schaden für das Nervensystem
der allerdings hysterischen Schlaftänzerin in keinem
Verhältniss zu dem grossen Nutzen dieser Demonstrationen,
besonders für die Künstler. Herr v. Schewitsch betonte,
dass es direkte Aufgabe der „Psychologischen Gesellschaft44
sei, solche Demonstrationen zu veranstalten, weil dadurch
weitere Kreise zum Nachdenken über das Seelenleben
angeregt würden. Ausserdem fänden die Versuche
unter ärztlicher Leitung statt und schliesslich habe eben
jede grosse Bewegung auch ihre Kehrseite. Man dürfe sich
durch solche Bedenken nicht abhalten lassen, die für die
Wissenschaft und Kunst eminent lehrreichen Versuche zu
unternehmen. Man könne die Leistungen der Somnambule
in ihrer Bedeutung für die Kunst vergleichen mit Moment-
photographien im Verhältniss zum fertigen Gemälde. Die
künstlerische Konzeption kennzeichne das Kunstwerk, AJade-
leine liefere nur die dazu durchaus nöthigen Studien. Dr. Rehrn
erinnert speziell an die Leistungen der Duse und die hochgradige
Erschöpfung dieser grossen Tragödin nach ihrem
Auftreten. Er habe auch mit einem Theil seiner Patienten
den Sitzungen beigewohnt und irgend eine nachtheilige
Wirkung, speziell vom Chopin}'«sehen Trauermarsch, wie sie
behauptet wurde, nicht wahrgenommen. Gegen die Sensation
und Modespieiereien wende er sich auch, jedoch seien
das bei einer so grossen Bewegung unvermeidliche kleine Nachtheile
, die von selbst wieder verschwänden. Dr. v. Schrenck-
Notzing macht darauf aufmerksam, dass man dieses geradezu
leidenschaftliche Interesse weiterer, namentlich künstlerischer
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