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Maier: Neues von der Schlaftänzerin.
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spruchen soll, auf Simulation bezw. vorangegangene förmliche
Einstudirung schlössen, während doch mindestens
bei den (schon in München von Künstlern ersten Ranges)
improvisirten Tonstücken von einer solchen entfernt
nicht die Rede sein kann.*)
Ueber den zweiten Abend schreibt die „Stuttg. Morgen-
post": „Und wieder war das kleine Wilhelmatheater bis auf
den letzten Platz gefüllt. In der Proszeniumsloge der
König und die Königin; in Parket und Rängen drängte
sich „ganz Stuttgart". Dazu eine .Neugier und Spannung,
die über die bekannte Premiören-Nervosität weit hinausging
. Der Hang zum Unbegreiflichen, die Begier, in die
dunklen Abgründe unseres Seelenlebens hinabzuspähen, und
die Freude an rein künstlerischen Offenbarungen — beides
sollte ja an diesem Abend gleichzeitig Befriedigung und
Genüge finden. Und mag nun die eine oder die andere
Erwartung mehr Zuschauer herbeigelockt haben, uninteressirt
und enttäuscht hat sicherlich Keiner das Haus verlassen.
Bei vielen Zuschauern wird wohl die Meinung überwogen
haben, dass Frau Madeleine die Auffassung der Musikstücke
und Deklamationen, die in ihren „Traumtänzen" zum Ausdruck
kommt, in den meisten Fällen sich im wachen Zustand
angeeignet hat, — und dass ihre rhythmische und
choreographische Kunst in ihrem Körper ein Instrument
hat, das durch jahrelange, höchst planmässige und unermüdliche
Trainirung ausgebildet und bis ins Letzte verfeinert
worden ist. . . . Und nur von diesem Standpunkte aus ist
demnach wohl die so oft aufgeworfene Frage zu beantworten
; was kann die Kunst — im weitesten Sinn, also:
Mimik, Tanz, Malerei und Plastik — von der Madeleine lernen ?
*) Auch die, wie ja vorauszusehen war, nun bereits auftauchenden
Imitationen zum Zweck des Geldmachens beweisen gar
nichts gegen die Echtheit und den hohen künstlerischen Werth
dieser Darbietungen. So berichtet im Seherischen „Tag11 vom
27. März er. L. S<hönhoff unter der Spitzmarke: „Magdalena
die Berlinerin" von einer (durch ihren dortigen Unternehmer
angeblich rein zufällig entdeckten) neugebackenen „Bchlafkünstlerin*
— Frau Kosch ist ihr nicht gerade poetisch klingender bürgerlicher
Name —, die ihre gleichfalls in der Hvpnose ausgeführten Tänze
zunächst den Vertretern der (selbstredend zu Keklamezwecken) nach
dem Apollotheater geladenen Presse zeigte, um sie dann im Vari6t6-
theater vor einer breiteren Menge möglichst lukrativ auszunützen.
Verf. bemerkt dazu witzig, es scheine sich eben nun eine „Spezialität
* bezw. eine ^neue Nummer": Die „Künstlerin unter dem
Zwang der Hypnose" entwickeln zu wollen, während Madeleme in
München „ihr sensationelles Auftreten noch mit einem halb wissenschaftlichen
Mäntelchen zu umkleiden** wusste. „In Berlin wird
alles leicht ruppig," meinte bekanntlich schon Frau von Vorn-
hagen. — Red.
Psychiiehe Studien. Mal 1904 21
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