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314 Psychische Studien. XXXI. Jahrg. 5. Hett. (Mai 1904.)
Aber diese Frage kann hier nur angedeutet, es
kann nicht der geringste Versuch zu ihrer Lösung gemacht
werden. . . .
Ein wenig unheimlich und ein wenig komisch die Introduktion
: wie in dem grünen Hain, zu dem die Bühne
umgewandelt ist, eine hohe, schlanke Frauengestalt in mattfarbenem
, antikem Gewände, das in edlen Falten sie um-
giebt, und ein Herr im Frack, mit langem schwarzem
Schnurrbart, zusammen erscheinen; wie der moderne Herr
das antike Weib mit theatralischen Gesten in den Zauberschlaf
versenkt Ergreifend das Erwachen der Seele bei
den ersten Klängen der Musik, und hinreissend, wie die
Seele nun den erstarrten Körper neu belebt, ihm höhere
Kräfte, aufwärts strebende Schwingen zu leihen scheint.
Welchen Widerhall weckt aber in dieser, von der
Aussen weit abgelösten Seele, in diesem Körper, der der
Seele ohne jegliche Hemmung gehorcht, das Wort, der Ton,
die in ihren wachen Traum hineinklingen ? Man wird sagen
müssen: einen so verstärkten, so über unser natürliches Empfinden
hinauswachsenden, dass der Eindruck oft schauerlich
, quälend, ja abstossend ist. Das gilt natürlich in erster
Linie von der Darstellung schmerzlicher Empfindungen.
Beim Chopin'schen Trauermarsch z. B. überschritt das mit
krass naturalistischer Energie sich äussernde Pathos weit
die Grenzen des Künstlerischen, innerhalb deren sich die
Musik hält. Auch die mimische Begleitung z. B. zu Gret-
chens Gebet oder zum „Erlkönig* war reich an furchtbar
erschütternden Einzelheiten und würde doch, von „wachen"
Künstlern nachgeahmt, nur zu einem Stil wüst naturalistischer
Uebertreibung führen können.
Das Schönste, Unanfechtbarste bietet Madeleine doch
im eigentlichen Tanz, im tanzmässig Belebten. Der Chopin-
sehe Walzer, die beiden Carmen-Arien, der Donau-Walzer,
— das waren köstliche Gebilde einer reinen Daseinsfreude,
die, jeder Erdenschwere entladen, sich beflügelt auf der
Welle des flüchtigen Wohlklangs wiegt." —
Ueber die dieser Wohlthätigkeitsvorstellung*) vorausgegangene
Generalprobe berichtet noch das „Stuttg. Neue
Tagblatt" wie folgt:
Die gestrige „Generalprobe" hätte man eine Spezial-
vorstellung für die Aerzte von Stuttgart und Cannstadt
nennen können, — es dürften wenige aus der Zunft gefehlt
haben. Dazu geseilten sich Künstler aller Gattungen,
*) Die Einnahme von 4650 M. für Eintrittskarten wurde der
dortigen Sammelstelle für Südwestafrika übergehen.
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