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316 Psycbisohe Studien. XXXI. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1904.)
leihen oder zurückgeben, indem sie jene gegen wirken den
Faktoren lähmt, ausser Funktion setzt, einschläfert. Frau
Madeleine ist eine Scblaftänzerin, wenn man damit sagen
will, dass hemmende Faktoren bei ihr eingeschläfert sind;
als Tänzerin ist sie besonders wach. Sie tanzt unbewusst
in dem Sinn, dass sie von allerlei, was das Tanzen stören
würde, kein Bewusstsein hat. Ihr Tanzen selbst aber ist
ein konzentrirt bewusstes. Wieviel sie nachher davon weiss,
das ist eine andere Frage,"
ünd um auch einen Pathologen zu Wort kommen zu
lassen , wollen wir hören, was der Nervenarzt Dr. L Seif
in seinem Gutachten anführt. Er sagt darin: „Ist Made-
leine wach und mimt uns nur ihre eingelernten Kunststückchen
vor? Das ist unmöglich; dagegen spricht
der Eintritt der Katalepsie (Starrsucht) in dem Augenblick,
wo die musikalischen Impulse aufhören, das Verhalten der
Augen und die mit dem wachen Zustand kontrastirenden
Veränderungen der gesammten Zuständlichkeit, vor allen
der . . . Uebergang in den wachen Zustand. So benimmt
sich kein Wacher; das ist aber auch nicht zu simuliren etc."
Diese Zeugnisse, denen, wie gesagt, eine grosse Zahl
von Spezialisten beipflichten, beruhen auf genauester
ärztlicher Untersuchung des Phänomens. . . Die
Bühne, die zu beiden Seiten prächtige Lorbeer- und Palmengruppen
und einen malerischen Prospekt zeigt, weist rechts,
in das Grün geschoben, eine Ruhebank auf. Es erscheint
Dr. Frhr. v. Schrenck-Notzing aus München und giebt in
einem Vortrag einige Aufklärungen über das Wesen des
Hypnotismus und über die psychischen Erscheinungen bei Frau
Madeleine. Sie hat eine entschiedene Anlage zur Hysterie,
ist aber im Uebrigen, von einigen unbedeutenden Defekten
abgesehen, in keiner Weise abnorm. Schon in frühester
Jugend bekundete sie die stärkste Empfänglichkeit für die
Musik; z. ß. kroch sie als Kind, wenn ihre Mutter Klavier
spielte, unter das Instrument und blieb da liegen, bis die
Töne vorstummten. Was das Tanzen betrifft, so ist sie nur
in den gewöhnlichen Salontänzen ausgebildet worden, nicht
aber in den Künsten des Ballets und der Pantomime.
Nun erscheint, in wallendem, losem griechischen Gewand
, Frau Madeleine selbst und lässt sich auf der Bank
nieder. Zu ihr tritt ihr Entdecker, Herr Magnin aus
Paris, Magnetiseur von Beruf. Er schläfert sie durch Anfassen
der Hände, wobei sie ihm in die Augen schaut, durch
Streichen und gleitendes Tasten ein, also durch magnetische
Einwirkung, nicht durch hypnotische, die durch
starres Fixiren geschieht. Der eintretende, durch Magne-
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