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Maler: Neues von der Schlaftänzerin.
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tismus bewirkte Traumzustand unterscheidet sich übrigens
nicht von dem der Hypnose. Es ist interessant zu hören,
wie Magnin die ihr selbst unbekannte ausserordentliche
künstlerische Anlage der Frau M. entdeckt hat. Er kannte
sie schon als Kind in Genf, welche Stadt, in der Madeleine
seit ihrem dritten Lebensjahre erzogen wurde, seine Heimath
ist. Eine Reihe von Jahren sah er sie nicht wieder, bis sie
vor ein paar Jahren zu ihm kam, um sich wegen heftiger
neurasthenischer Kopfschmerzen von ihm behandeln zu
lassen. Sie wurde Stunden lang magnatisirt, und erst nach
der vierten Sitzung gelang es, sie einzuschläfern. Da schlug
zufällig die Uhr im Zimmer, und diese Glockenschläge begleitete
die Unbewu8Ste Schlag für Schlag mit sehr auffallenden
Bewegungen. Zu der nächsten Sitzung zog Magnin
einen Freund zu und als dieser auf dem Klavier einen
Ghopin'schm Walzer spielte, erhob sich die Eingeschläferte
und begann einen Tanz, so unvergleichlich schön, wie sie
heute tanzt, also ohne jede vorhergegangene Uebung oder
gar Dressur. —
Und nun wieder zurück zu unserer Wilhelma-Bühne.
Hat Magnin seine Manipulation an der unbeweglich Dasitzenden
beendet, so zieht er sie sanft empor und führt
sie in die Mitte der Bühne. Und nun schaut und staunt!
Erklingt der erste Ton der Musik, so scheint die Magneti-
airte ein völlig neues Wesen geworden zu sein, ihre Augen
leuchten in überirdischem Glanz, sie ist ganz Rhythmus,
ganz Ausdruck, ganz Gefühl. Ein Ergriffen- und Erfasst-
sein spricht aus ihr, dass man es sich nicht stärker vorstellen
kann, und jeder neue Ton erzeugt neue rhythmische Bewegungen
, Stellungen und Gebärden. Das Wunderbarste
ist aber das entgeisterte Verharren in der zuletzt eingenommenen
Pose, sowie kein Tonreiz mehr an ihr Ohr
dringt. Zuerst spielt Hof kapellmeister Pohlig eine Gavotte
von Gluck - Brahms: — „sie weiss sich so lieblich im Tanze
zu tragen" wie eine Bajadere; dann suggerirt ihr Herr
Magnin durch gesprochene Worte, dass sie Judith sei und
den Holofernes zu ermorden habe, — gleich einer Furie
schreitet sie einher, und im leidenschaftlichsten, wildesten
Triumph erhebt sie zuletzt den Arm, wenn sie das abgeschlagene
Haupt des Holofernes dem Volke zeigen soll
Es folgen eine Deklamation von Fräulein Ph. Brand, Arien
aus „Carmen* und „Samson und Dalila", von FrL Satter
und Frl. Schönberger gesungen, Lieder von Herrn Neudorffer,
ein Harfen-Solo von Frau Frida Büß, ein spanischer Tanz
von Konzertmeister Wendling gespielt usw. Das Ergeifendste
aber war ihre Interpretation des Trauermarsches von Chopin,
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