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Kordon: Geistiges Schaffen anter Inspiration.
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Nicht unerwähnt darf ich es lassen, dass ich in Düsseldorf
im Kreise der ehrenwerthen Familie eines überzeugungstreuen
Gesinnungsgenossen, mit der wir durch herzliche
Sympathie verbunden sind, einen beachtenswerthen Beweis
für die Wahrheit dessen erhielt, was uns im Juli 1901 über
die letzte irdische Persönlichkeit meines Inspirators gesagt
worden war. Die älteste Tochter unseres Freundes K. S.
ist ebenso wie ihre Mutter medial veranlagt, doch schreibt
diese automatisch, während jene im Verzückungszustande
spricht. Die Damen sind selbstverständlich nicht Berufsmedien
, In der zweiten während unserer Anwesenheit veranstalteten
Sitzung wandte sich die junge Dame im Trance
mit den Worten an mich: „Ich sehe einen stattlichen Mann
an Deiner Seite stehen. Er trägt eine Krone, doch war er hier
kein Herrscher. Der Lorbeer schmückt sein Haupt, er ist
ein Fürst im Reiche des Lichtes/' Ein JName wurde nicht
genannt, und gerade diesem scheinbar nebensächlichen Umstände
messe ich in diesem Falle grosse Beweiskraft bei;
denn wenn das Medium im Zustande der Verzückung einfach
meine Gedanken gelesen hätte, so würde es sicherlich
den Namen des Lorbeerträgers nicht für sich behalten haben.
In Düsseldorf gewann ich übrigens auf anderem Wege
einen weiteren Beweis für die Thatsache der Inspiration.
Einmal hatten wir uns, etwa um Mitternacht in unserer
Wohnung angekommen, bereits zur Ruhe begeben, als ich
in der üblichen Weise aufgefordert wurde, zu schreiben.
Ich leistete dieser Aufforderung ohne Widerstreben Folge,
war aber derart müde und abgespannt, dass ich zweimal
über meinem Blatte beinahe eingeschlafen wäre, worauf ich
in Gedanken die Bitte aussprach, das begonnene Gedicht
am nächsten Tage vollenden zu dürfen. Dies geschah denn
auch. Eine besondere, überaus freudige Ueberraschung wurde
uns im September 1902 zu Theil, als unsere Inspiratoren in
den Schlussversen der telepathisch übermittelten Gedichte
ihre Namen anzugeben begannen* Der erste Dichter, der
sich auf diese Weise zu erkennen gab — es war am 19.
September — ist Theodor Körner gewesen. Ihm folgten im
Laufe des Herbstes nach und nach manche Träger berühmter
Namen, aber auch andere, die sich in ihrem letzten Erdenleben
keinen Ruhm als Dichter erwarben, oder deren Ge-
dächtniss die Zeit fast ausgetilgt hat. Die wunderbare
Kraft der Sympathie spielt bei Kundgebungen solcher Art
ohne Zweifel eine Hauptrolle; dies hatte ich sehr bald
herausgefunden. Später, im Jahre 1903, machte ich auf
Grund meiner Erfahrungen lehrreiche Versuche, indem ich
Gedichte solcher Poeten las, in deren Werke ich mich früher
Psychische Studien Juni 1904. 23
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