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v. Seeland: Die Logik der materialistischen Lehre etc. 359
begeisternde, in alle Fernen hinauswirkende sein könnte —,
hat man sich noch ein anderes Beispiel hinzuzudenken: ein
Mensch, der jenem an sittlicher Hoheit nichts nachgäbe
und gleichfalls sein Leben für seine Ueberzeugung Hesse,
zugleich aber noch im letzten Augenblick von einer unerschütterlichen
Zuversicht auf den bis in das Einzelste
gehen müssenden Sieg des Guten getragen würde, hätte
zum Wenigsten eben diesen Hoffnungsstrahl vor
jenem voraus; daher müsste auch der Ausdruck seiner
Züge und deren Bild eine noch höhere Wirkung ausüben,
da, wie gesagt, ceteris paribus, die positive oder fördernde
Wirkung stets über der negativen oder zurückstauenden
steht. Dass aber letztere in dem Seelenzustand und dem
Gesichtsausdruck des ersteren von jenen beiden aus dem
Leben scheidenden Männern immerhin einigermaassen hervortreten
müsste, folgt schon daraus, dass Alles, was Einem
das Sterben erleichtert, auch die Hoffnung auf den dereinstigen
Sieg der Sache, — gleichwohl nicht im Stande ist,
in seiner Seele dasjenige Bittere zu löschen, welches seiner
Weltanschauung an sich anhängt. So kann z. B. vermeintliches
Nimmerwiedersehen seiner Lieben nicht umhin, ihm,
im Angesicht des Todes, einen düsteren Schatten in die
Seele zu werfen.
Bedenkt man ferner, -dass doch bekanntermaassen die
durch Geist, ja Heldenmuth am Meisten hervorragenden
und die gewaltigste Nachwirkung erzielenden der Märtyrer
gerade auf der Seite stehen, wo humanitäre Ideale sich mit
religiösen verbanden —, so wird man zugeben, dass solche
Menschen, die im Leben überhaupt und in der Todesstunde
insbesondere den Abglanz ihrer grossen Seele schon in
ihrem Aeussern wiederspiegelten, auch für die Darstellungen
durch die Kunst ein ergiebigeres Feld künstlerischer Thä-
tigkeit darbieten müssen. Thatsächlich haben sich auch
zahllose grosse Künstler mit Erfolg an Christusköpfen
u. dgl. versucht, einem Sokrates aber, einem Savonarola, einem
Giordano Bruno u. A. ist die Kunst noch Manches schuldig
geblieben.
2LL,
Selbst wenn negativistische Kunstwerke ein grosses
künstlerisches Talent bekunden, so ist es der Mangel an
Schwung, Frische und Fruchtbarkeit, der sich in ihnen fast
durchweg fühlbar macht. Ihre Hauptmittel, mit welchen
sie Eindruck zu machen suchen, sind Pessimismus, Ironie
oder aber Sinnenkitzel, daher denn ihr Gesammteindruck
kein erhebender, erfrischender, erbauender, sondern vielmehr
ein deprimirender oder lediglich aufregender ist. Als
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