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Klinckowstroem: Bericht über einen Geist etc. 377
„Ach „Emile"!u rief er aus, „Emile", das Buch toller
Phantasien! Seltsamer Vorsatz das, aus zehnjährigen Kindern
Philosophen machen zu wollen. Es wird wenig geschrieben
auf anderen Welten, aber für jedes nützliche Gebiet giebt
es ein Fachwerk. Dasjenige, welches die schwierige Kunst
der Erziehung lehrt, ist nichts weniger als weitschweifig;
die klargefassten Vorschriften entsprechen den Entwickelungs-
stadien der Natur. Keine moralisierenden Abschweifungen
über die Affekte, keine umständlichen theologischen Auseinandersetzungen
über das Dogma; nichts Bizarres, Ueber-
spanntes in den Rathschlägen. Der Hochmuth des Egoismus
wagt nicht sich hier zu zeigen. Jedenfalls ist der Verfasser
nicht ein geistreicher Mann, der bald die Rolle eines Rhetors,
bald die eines biederen Landmannes spielt. Er ist ein gewissenhafter
Instruktor, der die Bedürfnisse der Gesellschaft,
des Vaterlandes, wie die des einzelnen Bürgers berücksichtigt.
Glaub' mir, wenn man so ein Buch gelesen hat, dann hat
man keinen Grund mehr, auf den »Emile* stolz zu sein.*
Man kann sich mein Erstaunen denken. Ein Mann, den
man mir als so eitel, als so von sich selbst eingenommen
geschildert hatte! „Ich bitte Dich ein für alle Mal,* fuhr
er fort, „von meiner Apologie der Unwissenheit, von meinen
Paradoxen zu schweigen, die geeignet sind, die Dummen
aus ihrem Stumpfsinn aufzurütteln; von meinen musikalischen
Träumereien. Stimm* vielmehr ein in mein Lachen über die
ausserordentliche Gutmüthigkeit der Menschen, welche mir
zum Dank für die gerechte V erachtung, die ich ihnen ständig
gezeigt habe, Denkmäler errichteten, Vergiss nicht, dass
dies ein lächerlicher Brauch ist. Wenn der Genius, dem
diese Huldigung dargebracht wird, sie verdient, so ist er
ohnehin schon durch seine Thaten unsterblich; hat er
nichts Hervorragendes geleistet, so ist es eine beschämende
Schmeichelei.*
Ich verstand sehr wohl, dass dieser Hieb gegen die gerichtet
war, welche den Meissei Pigats für eine Statue
Voltaire'* in Thätigkeit gesetzt hatten. Die Feindseligkeit
der Litteraten lebt noch über das Grab hinaus I
Ich befürchtete umständliche Einzelheiten; viele andere
Fragen beschäftigten mich. Das Wesen der Seele, ihre
Betätigungen, ihre wiederholten Inkarnationen reizten meine
Neugier. Er las meine Gedanken. »Warum wird die Unsterblichkeit
der Seele so oft bestritten? Wenn der Körper
nicht im Tode verbleibt, warum sollte die Seele sterben?
Ohne Dich in die metaphysischen Abgründe der englischen
oder deutschen Philosophie zu versenken, sieh Dir die Welt
mit offenen Augen an, ob Du nicht die Seele Alexander1*
Psychische Studien. Juni 1904. 25
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