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Dankmar: Geistige und soziale Strömungen etc. 397
liehen in der Erscheinungswelt verband sieh nur zu bald
die Läugnung jeglicher Ethik — denn' diese beruht ja auf
Metaphysik — in der moralischen Welt. — Max Stirner
ist in philosophischer Hinsicht Feuerbach's direkter Nachfolger
, wie er der Vorläufer Nietzsche^ ist. Stirner bildet
mit Proudhon, Moritz Hess und Karl Grün eigentlich zusammen
den älteren oder philosophischen Anarchismus
. SUrner's (i. e. Kaspar Schmidts 1806—1856) tiefgründiges
Hauptwerk „Der Einzige und sein Eigenthum"
(1845) ist eine fürchterliche Verherrlichung des Egoismus.
„Ich bin aber nicht ein Ich neben anderen Icheu, sondern
das alleinige Ich. Ich bin einzig." (II, 3, 423) „Weder
Ich, noch Du sind sagbar. Wir sind unaussprechlich,
weil nur Gedanken sagbar sind und im Sagen bestehen."
(IL, 2, 364) „Der Verkehr mit der Welt besteht für mein
Ich darin, dass ich diese Welt geniesse und zu meinem
Geüusse verbrauche." „Der Verkehr ist Weltgenuss und
gehört zu meinem — Selbstgenuss." (ib. 374) „Der Egoist
ist Eigner, der Soziale ein Lump." (ib. 367) „Die Gesellschaft
ist blos ein neues Gefängniss, ein neuer Spuk, ein
neues „höchstes Wesen", das uns in Dienst und Pflicht
nimmt." (I, 3, 2) „Es giebt keine Sünder und keine Heiligen
, sondern blos Narren, die sich dafür halten." (421)
„Die Eigenthumsfrage wird nur gelöst durch den Krieg
Aller gegen Alle." (303) „An Stelle der gesetzlichen Ordnung
tritt die Selbsthilfe. Alle bisher als heilig geltenden
Güter werden „entwerthet". „Das Gemeinwohl, das
nicht mein Wohl ist, kümmert mich nichts. Ich bin mein
eigener Eigner, mir geht nichts über mich." Ed. von Hart*
mann bemerkt dazu sehr richtig:*) „Bs gehört eine kindliche
Naivität von unglaublicher Harmlosigkeit und ein
gänzlicher Mangel an praktischem Verstände und natürlicher
Lebensklugheit dazu, sich einzubilden, dass mit einem
Individuum von solchen Grundsätzen jemand anders Beziehungen
irgend welcher Art freiwillig anknüpfen werde."
Stirner fusst aber ni^ht auf dem nackten Materialismus
, sondern in ei Kenntnisstheoretischer Hinsicht auf
Fichte^ Idealismus: Das empirische Ich ist nur der vergängliche
Schöpfer seiner selbst, es ist nichts als „Selbst*
verzehrung" und erweist sich auch im Tode als das Nichts,
das es ist. Alle „Ich's" Stirner's sind Bestandtheile eines
grossen „Nicht-Ichs", also leerer Schein. Die Bewusstseins-
form meines Ichs ruht als Traumillusion auf dem Nichts.
Nur so, als absoluter Illusionismus, wird Stirner9s bei allen
*) £. v. Hartmann: „Ethische Studien" III, 85 ff.
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